Professor Louis Henri Seukwa fordert vom Senat Versöhnungskurs mit den Nachkommen der Opfer. Seit einigen Monaten gibt es in der Hansestadt eine wachsende kontroverse Diskussion über die deutsche Kolonialgeschichte.

Hamburg. Als „schockierend unsensibel“ hat Migrationsforscher Louis Henri Seukwa den Umgang Hamburgs mit seiner kolonialen Vergangenheit bezeichnet. Seukwa, der in Kamerun geboren wurde und an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften lehrt, kann sich nur wundern. Da begegnet er einem „Afrikahaus“ an der Großen Reichenstraße, einer Wißmannstraße in Wandsbek, dem Dominikweg und dem „Tansania-Park“ in Jenfeld. Dort steht das „Askari“-Relief, das einen weißen Offizier in martialischer Pose und zwei schwarze Soldaten zeigt.

Was für die einen auf den ersten Blick nach Nationalismus, aber auch der Sehnsucht nach fernen Kontinenten aussieht, bedarf für andere einer dringenden Aufarbeitung. Erziehungswissenschaftler Seukwa fordert deshalb vom Hamburger Senat und der Bürgerschaft, sich zur historischen Verantwortung der Hansestadt zu bekennen und „Maßnahmen zur gerechten Versöhnung mit den Nachkommen von Opfern kolonialer Grausamkeiten zu ergreifen“.

Seit einigen Monaten gibt es in der Hansestadt eine wachsende kontroverse Diskussion über die deutsche Kolonialgeschichte und ihren Umgang damit. Schließlich hatten einst Hamburger Firmen von der Kolonialpolitik des Deutschen Reiches wirtschaftlich erheblich profitiert.

Zunächst befasste sich deshalb im Frühjahr der Kulturausschuss der Bürgerschaft mit dem Thema einer sachgerechten Aufarbeitung dieses Kapitels hanseatischer Geschichte. Dann öffnete die Ausstellung „Freedom Roads! Koloniale Straßennamen, postkoloniale Erinnerungskultur“ ihre Pforten. Außerdem organisierte jüngst die Evangelische Akademie der Nordkirche eine Podiumsveranstaltung im Michel.

In dieser Hamburger Hauptkirche befinden sich – derzeit unkommentiert – zwei Gedenktafeln. Auf denen steht: „Aus Hamburg starben für Kaiser und Reich in China/in Afrika“. Wie Michel-Hauptpastor Alexander Röder sagt, gab es vor einigen Jahren ein erläuterndes Faltblatt unter der Tafel. „Als ich 2005 zum Hauptpastor gewählt wurde, gab es das Faltblatt aber nicht mehr, weil nur sehr wenige Besucher des Michel daran interessiert gewesen waren“, betont er. Und fügt hinzu: „Kaum ein Besucher des Michel hat wohl die Tafel gelesen und sie in ihrer Tiefe verstanden.“ Dafür fehle den meisten Menschen „schlichtweg die Detailkenntnis über die deutsche Kolonialgeschichte“. Wie künftig eine angemessene Erinnerungskultur aussehen könne, müsse noch in weiteren Gesprächen mit dem Kirchenvorstand geklärt werden.

Neben dieser Gedenktafel im Michel sind Spuren der Kolonialgeschichte in der Hansestadt an vielen Orten präsent. Fast alle Symbole und Namen sind nicht näher erläutert. Der Dominikweg in Jenfeld etwa wurde nach dem Major der deutschen Schutztruppe in Kamerun, Hans von Dominik (1870 bis 1910) benannt. Der Truppenführer pflegte die von ihm geleiteten Überfälle auf afrikanische Dörfer mit „Waidmanns Heil“ zu eröffnen.

Oder das „Afrikahaus“ an der Großen Reichenstraße. Es wurde 1899 für die Firma C. Woermann gebaut, die Ende des 19. Jahrhunderts Hoheitsrechte über einige Küstenstriche des späteren Kamerun erworben hatte. „Die deutschen Kolonialkämpfe in Afrika und China waren Eroberungskriege“, sagt Pastor Klaus Schäfer, Missionsdirektor der Nordkirche. Einige Wissenschaftler bezeichnen die Kolonialkriege sogar als „ersten Genozid des Jahrhunderts“.

Dass die Kolonialpolitik zum Nutzen Hamburgs in der öffentlichen Debatte allerdings differenzierter als bisher betrachtet werden sollte, hat der Publizist Kurt Grobecker bereits 1990 in einer Publikation zum 325-jährigen Bestehen der Handelskammer herausgearbeitet. „In der Frage der ‚Kolonisationspolitik‘ gab es durchaus unterschiedliche Auffassung“, schrieb er. „Nicht alle waren mit so deutlichen Formulierungen einverstanden wie ‚Hinaussendung von Kriegsschiffen‘ (…).“ Andreas Westermeier, Syndikus bei der Handelskammer, hält die bislang geführte Debatte über die Aufarbeitung der Kolonialgeschichte deshalb für einseitig. „Sie zieht ein Thema aus seinem historischen Kontext und bewertet es mit heutigen Erkenntnissen und Einstellung neu.“

Mit einer interfraktionellen Petition hat der Kulturausschuss der Bürgerschaft den Senat inzwischen ersucht, ein Erinnerungskonzept zu initiieren. Daran sollen Vertreter von Hamburgs Partnerstadt Daressalam in Tansania sowie Hamburger Vereine und Initiativen einbezogen werden. Ein erster Bericht des Senats soll bis Jahresende vorliegen. Außerdem beschloss die Bezirksversammlung Wandsbek bereits im vergangenen Jahr, zwei Straßen umzubenennen. Der Vorsitzende des Kulturausschusses in der Bürgerschaft, Norbert Hackbusch (Linke), rechnet freilich damit, dass die umfangreiche Aufarbeitung des Hamburger Kolonialerbes noch viel Zeit benötigen wird. „In diesem Sektor der Erinnerung“, sagt er, „fehlt fast alles. Dazu kommt, dass diese Zeit im Hamburger Denken wenig präsent ist.“