Der Hamburgische Verein Seefahrt lädt alle Skipper ein, die seit dem Zweiten Weltkrieg mit einem der Vereinsschiffe über den Atlantik gesegelt sind. Ein Blick auf damals und heute

Es ist ein ganz besonderes Abendessen, das da kommende Woche mit Elbblick im Hotel Louis C. Jacob ausgerichtet wird. Der Hamburgische Verein Seefahrt (HVS) lädt ein. Die Teilnehmer sind ebenso unterschiedlich wie handverlesen. Aber sie haben eines gemeinsam – eine extrem lange Segelreise. Der HVS, der sich seit 110 Jahren für die Hochsee-Segelei engagiert, lädt alle Skipper ein, die seit dem Zweiten Weltkrieg eines der Vereinsschiffe über den Atlantik geführt haben. Fast 50 dieser Törns hat es seit 1955 gegeben. 30 Skipper waren daran beteiligt. Der älteste ist heute 92 Jahre alt, der jüngste gerade einmal 28 Jahre jung. Die Atlantiküberquerung hat eine ganz besondere Faszination für Segler – heute ebenso wie vor einem halben Jahrhundert. Aber was hat sich in den vergangenen Jahrzehnten alles verändert? Und: Was bleibt trotz allen Fortschritts am Ende gleich?

Wir nehmen die Tischgespräche etwas vorweg und treffen uns etwas weiter elbaufwärts im Museumshafen Oevelgönne mit zwei Skippern aus zwei Generationen. Detlef Rost segelte 1966 mit der 15 Meter langen HVS-Segelyacht „Ortac“ als Skipper über den Atlantik. Eike Holst führte 2011 die ebenfalls zum Verein gehörende „Norddeutsche Vermögen“ über den großen Teich. Rost ist heute 77, Holst gerade einmal 28. Der eine ist Rentner, der andere startet nach dem Studium gerade ins Berufsleben. Fast 50 Jahre liegen zwischen ihren beiden Reisen.

Technisch hat sich natürlich eine Menge in den vergangenen 50 Jahren getan. Heute sind die Segler auf jedem Punkt des Atlantiks erreichbar. Sie navigieren per Satellit und bekommen per E-Mail aktuelle Wetterinformationen.

Eike Holst: Aber die Technik ist Segen und Fluch zugleich. Die Wetterberichte auf hoher See sind häufig eher Glückssache und nach ein paar völlig falschen Prognosen haben wir uns am Ende doch auf unsere eigenen Beobachtungen und den traditionellen Barografen an Bord verlassen. Das ist immer noch der beste Indikator für einen Wetterumschwung.

Detlef Rost: Wir haben damals nach dem Auslaufen keinen Kontakt mehr mit der Außenwelt gehabt. Ein-, zweimal haben wir noch durch Zufall einen Funkspruch der „Germania“ aufgefangen. Aber wir haben nicht einmal ein anderes Schiff gesehen.

Holst: Und habt ihr irgendwelche Wetterinfos bekommen?

Rost: Nein, wir haben uns rein auf unsere Beobachtungen verlassen. Niemand wusste, wo wir waren – bis wir kurz vor Dänemark waren.

Holst: Wir haben täglich Berichte per E-Mail nach Deutschland geschickt. Alle konnten auf unserer Webseite nachlesen, was wir gerade gemacht haben. Per GPS wurde auf der Regattaseite angezeigt, wo wir uns gerade befinden. Wir haben sogar Infos bekommen, wo die anderen Schiffe gerade sind. Einmal klingelte mitten auf dem Atlantik das Satellitentelefon. Die Rennleitung war dran. Die hatten sich Sorgen gemacht, weil unsere Position nicht mehr angezeigt wurde. Das haben wir dann gleich repariert.

Rost: Wir haben damals nach Augenmaß mit Blick über die Reling die Geschwindigkeit gemessen und mit dem Sextanten navigiert. Nach 1200 Seemeilen hatten wir nur eine Abweichung von 40 Meilen!

Holst: Das ist ja irre. Das würde ich mir nicht zutrauen. Natürlich kann ich mit dem Sextanten umgehen – aber die Routine habe ich nicht. Man verlässt sich ja heute viel mehr auf die Technik.

Wer hart arbeitet, muss auch ordentlich essen. Segeln ist harte Arbeit. Und so ist das Essen an Bord immer ein großes Thema:

Eike Holst: Der wichtigste Aspekt bei unserer Verpflegungsplanung war: Es darf nichts wiegen.

Detlef Rost: Bei uns war das Wichtigste: Es muss schmecken! Wir haben per Kühlfracht eine halbe Tonne Nahrungsmittel zu den Bermudas bringen lassen. Der Smutje war bei uns nach dem Skipper und dem Navigator der wichtigste Mann an Bord. Der hat geplant, wann es was zu essen gibt. Würstchen, Fleisch und reichlich Spaghetti...

Holst: Bei uns gab es nur die ersten beiden Tage frisches Essen – danach vor allem Trockengefrorenes. Zwischendurch gab es immer mal wieder etwas aus der Konserve. Aber bei jedem Tag, den der Törn über zwei Wochen gedauert hätte, war klar: Es gibt nur noch Astronautennahrung. Das war auch als Motivation gedacht, schnell zu segeln.

Rost: Der Jüngste an Bord musste sich damals erst einmal als Smut verdient machen. Habt ihr das auch so gemacht?

Holst: Nein. Wir hatten keinen festen Smut. Heute ist jeder mal dran mit kochen.

Die Verantwortung, die ein Skipper für seine Crew bei einer solchen Reise hat ist enorm. Toi, toi, toi sagen beide – bislang ist auf keiner der Reisen auf den HVS-Schiffen jemandem etwas passiert. Bei der Regatta vor 47 Jahren war dem Skipper vor allem wichtig, dass ein Mitglied der Mannschaft Arzt ist. Das Kuriose war: Krank wurde der Arzt.

Rost: Ich glaube, wir waren damals mit die ersten, die automatisch aufblasbare Schwimmwesten hatten. Ich hatte bei Secumar in Hamburg angefragt, ob sie uns so etwas machen können. Die Pressluftflaschen waren natürlich noch viel größer als heute. Naja und für den Notfall hatte uns die Marine einen Peilsender geliehen.

Holst: Und heute hat jedes Crewmitglied einen kleinen Peilsender in der Rettungsweste.

Rost: Das ist echt stark. Überhaupt hat sich doch in puncto Sicherheit viel verändert.

Holst: Ein ausführliches Sicherheitstraining mit der Crew ist heute vor einer solchen Überfahrt Standard.

Rost: Das gab’s bei uns gar nicht. Da hat sich seit dem Unglück bei der Fastnet-Regatta 1979 viel verändert. Wir hatten 1961 bei der Fastnet-Regatta einen Mastbruch. Aus dem Baum haben wir dann bei schwerer See einen neuen Not-Mast gebaut. Aber immerhin: Wir sind mit 26 Stunden Verspätung im Ziel eingetroffen.

Holst: Auf eine solche Erfahrung bin ich nicht scharf. Aber natürlich macht man sich auf See irgendwann einmal Gedanken darüber, was man machen kann, wenn der Mast runterkommt. Der Motor hilft einem da in der Regel nicht viel. Wir haben bei einer solchen Regatta ja eh nur ein Minimum Diesel an Bord.

Dem Wetter ist man ausgeliefert – heute wie vor 50 Jahren. Daran, dass die Fahrt durch dichten Nebel unheimlich und unangenehm ist, ändern auch moderne Navigationstechnik und Radarreflektor nichts.

Rost: Vor Neufundland hatten wir damals vier Tage Nebel. In meiner Erinnerung habe ich vier Tage lang gar nicht geschlafen.

Holst: Das ging mir auch so. Die Gegend ist ein echtes Nebelloch. Man schreckt beim kleinsten Geräusch hoch.

Die Crews von „Ortac“ und „Norddeutsche Vermögen“ waren acht bzw. elf Mann stark – beide Besatzungen setzten sich zum großen Teil aus Studenten zusammen. Wie man sich an Bord die Arbeit einteilt hingegen ist sicherlich nicht nur eine Frage des persönlichen Stils der Skipper, sondern vielleicht auch eine der Generationen.

Rost: Was habt ihr eigentlich für eine Wacheinteilung heute?

Holst:Ich bevorzuge ein versetztes System. Alle zwei Stunden kommt jemand neues dazu und jemand anderes wird abgelöst. Das hat den Vorteil, dass ein Maximum an Informationen auf alle verteilt wird und eine neue Wache sich nicht erst wieder an die Gegebenheiten einspielen muss. So halten wir konstant eine optimale Geschwindigkeit.

Rost: Bei uns war es ein ganz traditionelles System mit tagsüber Sechsstunden-Wachen. Nur bei dem Nebel sind wir davon abgewichen: Es musste immer einer vorn am Bug Signal geben und Ausschau halten. Das Entscheidende aber ist immer die Zusammensetzung der Crew: Ich hatte immer lieber einen dabei, der menschlich besser passt, als einen, der fachlich mehr drauf hat.

Holst: Wenn man auf so engem Raum zusammen ist, muss es passen.

Rost: Ich hatte über die Jahre eigentlich eine relativ feste Crew.

Holst: Das ist bei mir anders. Die Crews wechseln. Aber ein kleiner Kern war immer schon einmal dabei. Bei der Atlantiküberquerung 2011 sind wir das erste Mal in dieser Konstellation zusammen gesegelt.

Neben der modernen Technik an Bord in Form von Elektronik gibt es auch eine Reihe von Weiterentwicklungen, die einem nicht gleich in den Sinn kommen:

Rost: Wir mussten damals mit elendig kleinen Winschen zu zweit die Segel setzen. Allein kriegte man das gar nicht hin. Das war richtige Knochenarbeit.

Holst schweigt, lächelt und deutet mit den Armen die Größe der Winschen auf der „Norddeutschen Vermögen“ an...

Rost: Handschuhe kannten wir damals noch gar nicht. Unsere Hände waren zerschunden.

Holst: Mittlerweile hat man ja eher die Qual der Wahl bei der Ausrüstung.

Aber es gibt auch Dinge, bei denen man große Unterschiede vermutet – aber auf überraschende Gemeinsamkeiten trifft.

Eike Holst:Der größte Unterschied ist doch wahrscheinlich der logistische Aufwand, der heute bei einer solchen Reise betrieben wird. Unsere Yacht wurde Huckepack mit einem Spezialfrachter nach Amerika gebracht.

Detlef Rost: Das wurde unser Schiff vor 47 Jahren auch schon.

Holst: Wahnsinn, das hätte ich nicht gedacht.

Rost: Das war einfach nötig, weil keiner von uns länger als drei Wochen Urlaub machen konnte. Ich hatte damals gerade als junger Ingenieur bei Siemens angefangen.

Vieles ist anders geworden bei dieser extremen mehr als 3000 Seemeilen langen Segeltour über den Atlantik. Während es die „Ortac“ auf eine Geschwindigkeit von maximal zehn Knoten brachte schaffte die „Norddeutsche Vermögen“ im Rekord sogar knapp über 20 Knoten. Das Tempo hat in den vergangenen fünf Jahrzehnten auch auf dem Atlantik zugelegt. Aber eines ändert sich nicht. Nicht in 50 Jahren und nicht in einem Jahrhundert:

Holst: Die Wellen!

Rost: Ja, die werden Skipper auch in 100 Jahren ihr Leben lang nicht vergessen.