Als junger Arzt wollte Walter Faaß hoch hinaus. Gern wäre er Wissenschaftler und Professor für Medizin geworden. Doch dann das: 1939 infizierte er sich als Assistenzarzt in Rostock mit Lungen-Tuberkulose. „Damit war ich weg vom Fenster“, erinnert er sich. Sein ganzes Leben lang sollte ihn diese bakterielle Infektionskrankheit begleiten. Er spuckte Blut. Aber er hatte auch das Glück, seinen Beruf wieder ausüben zu können.

Wenige Tage vor dem 101. Geburtstag sitzt der pensionierte Lungenfacharzt vor einem bunten Sommerblumenstrauß in der Elbschloss-Residenz in Klein-Flottek. Und erzählt. Vom Schriftsteller Hermann Hesse, dem er in der Schweiz begegnet ist. Von seiner Karriere bis zum Leitenden Medizinaldirektor in der Klinik Tönsheide bei Neumünster. Und vom hohen, biblischen Alter. „Bis zum meinem 100. Geburtstag im vergangenen Jahr war das Älterwerden noch Sport und eine reine Freude. Aber seitdem ist es nicht mehr so schön“, sagt Hamburgs ältester Arzt. Er erzählt von Schwindelanfällen, er ist auch schon mehrfach gestürzt.

Die Tuberkulose hat sein Leben geprägt. Die Zeit des Zweiten Weltkrieges verbrachte er als Patient und als Mediziner in einem Schweizer Sanatorium. Was ihm zwar die Einberufung in die Wehrmacht ersparte. Aber die Krankheit ließ berufliche Träume platzen. „Als Chirurg war ich aus gesundheitlichen Gründen unbrauchbar. Und auch für die Frauenheilkunde kam ich nicht in Frage.“ Also machte der Sohn eines Hamburger Kapitäns aus der Not eine Tugend und spezialisierte sich auf Lungenkrankheiten. Im zerstörten Nachkriegs-Hamburg arbeitete Walter Faaß zunächst am UKE, um als Assistenzarzt eine Lungenstation für Männer und Frauen mit aufzubauen. „Unsere Stadt war ein Trümmerhaufen, aber ich empfand meine Aufgabe als hochinteressant.“ Später machte er als Lungenfacharzt in der Klinik Tönsheide Karriere und übernahm zusätzlich bis zu seiner Pensionierung die Röntgen-Reihenuntersuchung in Schleswig-Holstein.

Während er aus seinem Leben erzählt, betritt eine Dame mit Rollator und hellwachen Augen das Appartement in der Senioren-Residenz. Es ist Marianne, 97. Seine Frau. Seit 1956 ist er mit der Kinderärztin verheiratet. „In all den Jahren“, lacht er, „haben wir uns höchstens 90 Minuten lang gestritten. So gut verstehen wir uns. Bis heute.“

Dass Walter Faaß so alt geworden ist, führt er neben der glücklichen Ehe auf seinen asketischen Lebensstil zurück. Wegen der Tuberkulose verzichtete er auf Alkohol, Nikotin, schwere körperliche Belastungen und sogar auf das Tanzen. Auch ging er großem Stress und Ärger aus dem Weg. Statt dessen unternahm er lange Spaziergänge – manchmal ein bisschen zu viel. Der liebe Gott, sagt er, habe immer gut aufgepasst.

Außerdem blieb er nach seiner Pensionierung im Alter von 69 Jahren geistig aktiv und begann mit 70 an der Universität Hamburg ein Geschichtsstudium. Zehn Jahre lang büffelte er und hätte ein erfolgreiches Examen absolvieren können. Wollte er aber nicht. „Zu viel Stress. Und den musste ich wegen der Krankheit vermeiden.“

Am 12. August feiert der Vater von zwei Kindern und einem Enkel nun seinen 101. Geburtstag. „Im kleinen Kreis“, wie er betont. Sein Rat an alle, die so alt werden möchten wie er: „Ärgert euch nicht so viel.“ Sein hohes Alter hält er jedenfalls für ein kleines Wunder: „Als Lungenfacharzt kenne ich keinen Lungentuberkulose-Patienten, der so alt geworden ist.“