„Was macht der denn für’n Krach“, sagt Alice Laatz und lacht leise, als dem Abendblatt-Fotografen beim Fototermin ein Blitzgerät herunterfällt. Sowieso findet die 100-Jährige das Interesse dieses Herrn, der hier auf der von Sonnenlicht gefluteten Terrasse des Parkdomizils am Bahrenfelder See immer wieder so begeistert seine Kamera auf sie richtet, mindestens merkwürdig. Sie winkt lachend ab, sagt: „Ich bin doch nur ’ne olle Frau!“

Doch dann ist Alice Laatz abgelenkt. Sie vernimmt die Stimmen von der Terrasse, auf der die anderen Senioren der Einrichtung entspannt zusammensitzen und „Das Wandern ist des Müllers Lust“ singen. Die 100-Jährige in ihrem Rollstuhl beginnt zu summen, dann singt sie. Dazu bewegt sie sanft ihre Arme. Es sieht aus, als würde sie dirigieren.

Von Altersmüdigkeit ist bei Alice Laatz herzlich wenig zu spüren. Oft hat man trotz ihrer zerbrechlichen Gestalt im Rollstuhl das Gefühl, sie steckt noch mittendrin in ihrem Leben. Auch sie selbst legt großen Wert darauf, dass sie noch einiges auf dem Kasten hat. „Rechnen, schreiben, lesen – kann ich alles noch!“, ruft sie fröhlich. Zum Beweis lässt sie sich einen Kugelschreiber reichen und kritzelt ihren Namen auf ein Stück Papier. Auch das Abendblatt liest sie noch jeden Tag – und zwar von der ersten bis zur letzten Seite. Ihr trockener Kommentar dazu: „Sonst hätt’ ich’s ja gar nicht kaufen brauchen.“

Hamburg ist ihre Heimat. Hier wird Alice Laatz am 8. Februar 1913 geboren, hier wächst sie auf, hier lernt sie das Handwerk ihrer Mutter, die Schneiderei. Und hier heiratet sie ihren Mann – sie nennt ihn nur liebevoll „meinen Papi“. Sein Tod liegt bereits 31 Jahre zurück, doch er ruft immer noch einen plötzlichen, heftigen Schmerz in ihr wach. „Er ist so früh verstorben!“ sagt sie und beginnt sofort zu schluchzen.

Doch auch die frohen Momente hat Alice Laatz tief in ihrem Herzen abgespeichert. Sie schwärmt von ihren vier Kindern, die alle in Hamburg wohnen und sie mehrmals die Woche besuchen. Von der Musik, die ihr Familienleben bestimmt hat: „Ich habe das Ave Maria immer bis zum hohen C gesungen!“ Und von den Mammut-Wanderungen, die sie ihrer Familie abverlangte: „Ich liebe die Elbe! Die Alster! Was ich für Wege marschiert bin! Ich habe ja immer alle mitgeschleift“, sagt sie und lacht.

Auf die Frage, wie sie es geschafft hat, so alt zu werden, weiß Alice Laatz nicht so recht, was sie antworten soll. Sie erzählt lieber noch einmal, wie schön sie es findet, draußen zu sein, im Garten zu sitzen und den frischen Hamburger Wind auf der Haut zu spüren. Sie lacht und beginnt wieder zu singen. Einfach so. Und irgendwie ist das dann auch eine Antwort.