Schulsenator Rabe spricht von „stürmischer Entwicklung“. 65 Prozent der Kinder nehmen teil. Zum neuen Schuljahr wird es erstmals ein praktisch flächendeckendes Angebot geben.

Hamburg. Zuerst 40, dann 50 und nun 65 Prozent: Der schwarz-grüne Senat hatte einst mit einer Teilnahmequote von 40 Prozent der Grundschüler an Ganztagsangeboten kalkuliert. Nach dem Regierungswechsel korrigierte Schulsenator Ties Rabe (SPD) den Planwert auf 50 Prozent nach oben. Zum neuen Schuljahr wird es erstmals ein praktisch flächendeckendes Angebot geben, weil 200 der 203 Grundschulen ganztags arbeiten. Jetzt sind sogar 65 Prozent der Kinder der Klassen eins bis vier für die kostenlose Nachmittagsbetreuung in der Zeit von 13 bis 16Uhr an den Schulen angemeldet worden.

„Eine derart stürmische Entwicklung war möglich, weil Schulen, Eltern und Schulbehörde diese große Aufgabe gemeinsam und engagiert angepackt haben“, sagte Rabe bei der Vorstellung der Zahlen. Voraussetzung war ein beherztes, wegen des Tempos auch kritisiertes Ausbauprogramm der einzelnen Standorte: Im Schuljahr 2010/11 hatten erst 53 Grundschulen Ganztagsangebote. Im Jahr darauf kamen 22 und 2012 noch einmal 48 Standorte hinzu. Mit Beginn dieses Schuljahres starten sogar 77 Grundschulen in den Nachmittag.

Das deutlich erweiterte Angebot entspricht offensichtlich der wachsenden Nachfrage: Von den 56.400 Grundschülern werden 36.677 Jungen und Mädchen ihre Schule von August bis 16 Uhr besuchen. Die Schulen bieten außerdem eine Betreuung der Kinder in den sogenannten Randzeiten an, also vor Unterrichtsbeginn und von 16 bis 18Uhr. Dieses Angebot ist kostenpflichtig und kann stundenweise gebucht werden. Für die Zeit von 7 bis 8Uhr sind zum Beispiel 4,5 Prozent der Kinder, für die Zeit von 16 bis 17Uhr 8,5 Prozent angemeldet worden.

Rund 28 Prozent der Grundschüler werden auch während der Ferien in der Schule zwischen 8 und 16Uhr betreut. Die durchschnittliche Inanspruchnahme dieses Angebots liegt bei 7,5 Wochen pro Jahr. „Mit diesem neuen Angebot ist es gelungen, mehr als 10.000 Kindern zusätzlich Ganztagsangebote zu eröffnen“, sagte Rabe.

Mit 125 Standorten haben sich die meisten Schulen einen Partner aus dem Bereich Kindertagesbetreuung zur Realisierung des Ganztags gesucht (Modell ganztägige Betreuung an Schulen, GBS). 75 Grundschulen organisieren den verlängerten Aufenthalt in der Schule in eigener Verantwortung (reine Ganztagsschulen, GTS). Zu den Angeboten des Ganztags zählen in der Regel Hausaufgabenhilfe, Lernförderung sowie sportliche und kulturelle Aktivitäten. Dazu werden auch die nachmittags bislang meist freien Turnhallen genutzt.

Anders als die kostenlose Betreuung in der Zeit von 13 bis 16 Uhr ist das Mittagessen kostenpflichtig. Die Gebühr ist sozial gestaffelt und orientiert sich am Einkommen der Eltern. Nach Einschätzung der Schulbehörde zahlt rund die Hälfte der Eltern ermäßigte Essensbeiträge.

Ein Problembereich des rasanten Ganztagsausbaus sind die Schulkantinen. Zwar ist auch hier das Tempo gesteigert worden, aber bei Weitem nicht alle Schulen werden zum Beginn des Unterrichts Kantine und Mensa haben. Nachdem im vergangenen Jahr 24 Kantinen an Grundschulen eröffnet werden konnten, sollen es laut Rabe bis zum Jahresende noch einmal 70 Küchen sein. An den Standorten, an denen die Bauarbeiten noch nicht abgeschlossen sind, werden „Ersatzspeiseräume“ eingerichtet.

„Senator Rabe versteckt die Probleme des Ganztags hinter Zahlen“, kritisierte die Grünen-Schulpolitikerin Stefanie von Berg. „Etliche Kinder müssen vielerorts unter einem Angebot leiden, das unter Zeitdruck und mit der Brechstange gezimmert wurde.“ So würde den Jungen und Mädchen an zahlreichen Schulen statt eines schmackhaften Essens „pappiger Kartoffelbrei mit Billigsoße“ vorgesetzt. Die Grünen stünden zur Ganztagsschule, „aber das Motto Quantität statt Qualität überzeugt uns uns nicht“, so von Berg.

In die gleiche Richtung zielt auch die CDU-Opposition. „Ein besonderes Augenmerk muss darauf gerichtet sein, dass der überhastete Ausbau nicht zulasten der Qualität geht“, sagte die CDU-Schulpolitikerin Karin Prien. An zahlreichen Standorten fehlten nach wie vor die Kantinen und vielfach auch Fachkräfte. Die Kooperationspartner der Schulen müssten „unter schwierigsten Bedingungen arbeiten und können die Kinder teilweise nur aufbewahren“.

„Ersatzspeiseräume statt rechtzeitig fertiggestellter Kantinen, Beeinträchtigung durch Bauarbeiten und Provisorien an vielen Schulen – das ist es, worüber Eltern allenthalben berichten“, sagte Anna von Treuenfels (FDP). Rabe sollte besser das Motto „Klasse statt Masse“ beherzigen.