Erstmals wird der ganze Vorstand eines Finanzinstituts angeklagt. Doch Zweifel bleiben

Es ist ein Wirtschaftsprozess, der spektakulärer kaum sein könnte. Fünf Jahre nach Ausbruch der Finanzkrise steht erstmals der komplette Vorstand einer Bank vor Gericht. Gleich sechs ehemalige Manager der HSH Nordbank müssen sich wegen Pflichtverletzung und Untreue verantworten, Manager jener Bank, die vom Steuerzahler gerettet werden musste und deren mögliche Pleite noch immer wie ein Damoklesschwert über allen Hamburgern und Schleswig-Holsteinern hängt.

Das mag die Häme erklären, die der Nordbank und ihren Managern entgegenschlägt. Das mag die Wut der Politiker verständlicher machen, die mit Verve auf der Bank herumhacken und unverantwortlicherweise über ihre Abwicklung schwadronieren. Als ginge es um eine neue James-Bond-Folge, scheinen die Rollen von Gut und Böse verteilt: Prof. Dirk Jens Nonnenmacher alias Dr. No gilt als böser Bube, hinter dem die fünf weiteren Angeklagten verblassen, ja sich verstecken können. Es passt ja schön ins Abziehbild. Mit seinen gegelten Haaren, den auffälligen Nadelstreifenanzügen und seinem Auftreten gab der hochgewachsene Mathematikprofessor fast comichaft den Bösewicht.

Aber die Wirklichkeit ist komplexer als ein Comic. Vermutlich war es ausgerechnet der Angeklagte Nonnenmacher, der viel Schaden von der HSH und damit den Steuerzahlern abgewendet hat. Als er im November 2008 den Vorstandsvorsitz der HSH Nordbank übernahm, war das Institut faktisch am Ende. Während seine Vorgänger bis zur Finanzkrise nur wenig verkehrt machen konnten, um Gewinne zu erwirtschaften, war es danach fast unmöglich, aus den Verlusten herauszukommen. Nonnenmacher gelang es dennoch, die Bank zu stabilisieren. Vor Gericht steht er wegen des sogenannten „Omega-55-Geschäfts“ – einer abenteuerlichen Bilanzoptimierung zum Schaden der Bank in Höhe von bis zu 158 Millionen Euro. Nonnenmacher, damals erst gerade bei der HSH, zeichnete den Deal mit ab. Ihn zum Schurken zu stilisieren kommt vielen gelegen. Etwa der Politik, die fraktionsübergreifend in Aufsichtsrat oder Beirat vertreten war und so von sich ablenken konnte. Aber auch der Bundesbank und Bafin, die als Aufsicht versagten.

Die entscheidende Frage im Hamburger Prozess lautet dann auch, ob die Bankvorstände aus Dummheit oder mit Vorsatz die gigantischen Risiken eingegangen sind. Vieles spricht dafür, dass der Verstand der Beteiligten zu klein war, die Größe des Rades zu überblicken, das sie drehten. Es ist kein Zufall, dass in Deutschland gerade die staatlichen Landesbanken im internationalen Kreditersatzgeschäft Milliardenrisiken eingingen, die ihnen in der Krise zum Verhängnis wurden, während viele Investmentbanken am „Stupid German Money“, dem „dummen Geld“, prächtig verdienten. Die Naivität der Deutschen und ihr Gottvertrauen in die Kunst des amerikanischen Finanzwesens waren grenzenlos. Dabei war das System längst krank; die US-Investmentlegende Warren Buffett hatte die Kreditderivate schon 2003 als „Massenvernichtungswaffen“ bezeichnet.

Die Finanzwirtschaft ficht das nicht an: Sie verdient längst wieder kräftig, glänzt mit Rekordgewinnen und schüttet Milliardenboni aus. Und kämpft mit Haken und Ösen: Ein Londoner Gericht verdonnerte die Commerzbank jüngst dazu, 104 Londoner Investmentbankern 52 Millionen Euro Boni zu überweisen – nachdem diese einen Verlust von 6,5 Milliarden Euro eingefahren hatten und daraufhin der Staat die Commerzbank retten musste.

Abgesehen von spektakulären Betrugsprozessen ist es der Justiz weltweit nicht gelungen, der Finanzwirtschaft beizukommen. Man darf auch nicht zu viel von den Gerichten erwarten. Selbst wenn die HSH-Chefs verurteilt werden, im globalen Roulette bleiben sie kleine Randfiguren. Das Casino hat längst wieder geöffnet.