Anwohner und Polizei suchen nach Ausschreitungen den Dialog. Das ist vorbildlich

Die Menschen im Stadtteil Altona-Altstadt haben etwas so Großartiges geleistet, dass es eigentlich mehr verdient hätte als nur den Einstiegssatz in einem Leitartikel: eine offizielle Urkunde der Stadt. Was in der Begründung stehen würde? „Sie haben sich in besonnener und besonderer Art und Weise für die Verständigung im Viertel eingesetzt – und damit vorbildlich verhalten.“

Wer genau würde sie bekommen? Zunächst einmal die 200 Anwohner und Nachbarn, die am Sonntag gemeinsam eine Erklärung verfasst haben, in der sie ihre Sicht der Ausschreitungen am vergangenen Wochenende thematisieren – weil sie so etwas nicht noch einmal erleben möchten. Dann natürlich die Mütter und Väter des Viertels, weil sie sich aktiv um einen Dialog mit der Stadt bemüht haben. Und schließlich ein besonnener Revierleiter, der den Ernst der Situation erkannte, persönlich an den Ort der Ausschreitungen ging, Fehler eingestand und damit eine Annäherung einleitete, die – sollte sie Bestand haben – Maßstäbe für das Miteinander in der Stadt gesetzt hat.

Dabei ist die Frage, wie es vorigen Donnerstag zu den Ausschreitungen zwischen Jugendlichen und Polizisten an der Holstenstraße gekommen ist, vielleicht gar nicht mehr so entscheidend. Die Versionen der Nacht sind ohnehin viel zu verschieden. Die Jugendlichen hätten es durch das Zünden von Feuerwerkskörpern und den Einsatz von Laserpointern darauf angelegt, sagte ein Sprecher der Polizei. Die Beamten hätten durch ihre ständigen Kontrollen provoziert, sagten einige Jugendliche. Was insgesamt verdächtig an die Argumentationsstrategie von Zehnjährigen erinnert: „Aber der da hat angefangen!“

In Altona-Altstadt haben sich am Ende alle benommen wie Erwachsene. Sie sind aufeinander zugegangen, sie haben sich zugehört, sie haben Vereinbarungen getroffen. Die Beamten der Polizeiwache Mörkenstraße stellvertretend für die Stadt, in der wir leben. Die Eltern stellvertretend für ihre Kinder. Ihnen kommt in dieser ganzen Auseinandersetzung ganz offenbar eine Schlüsselrolle zu: Seitdem beide Seiten sich auf eine Annäherung geeinigt haben, ist es ruhig geworden im Viertel zwischen Azra-Kiosk und Chemnitzstraße.

Ein Handschlag gilt eben nicht nur unter Hanseaten was. Sondern auch in arabischen und muslimischen Gesellschaften – für die Altona schon immer ein Heimathafen gewesen ist. Man muss trotzdem aufpassen, nicht allzu sehr in die „Kleine Haie, große Fische“-Romantik des Großstadtreviers abzudriften. Denn eine Frage wird am Ende zu klären sein, sie ergibt sich aus der Anklage der Anwohner selbst: Gibt es für die Jugendlichen im Viertel tatsächlich keinen Ort, an dem sie sich geborgen fühlen, so wie bis vor Kurzem auf dem alten Fußballplatz an der Holstenstraße? Auf dem, man darf es annehmen, wohl vor allem die Jungs gekickt haben.

Es ist ein Detail, das auffällt in den Entwicklungen der vergangenen Tage: dass es vor allem männliche Jugendliche waren, die aufbegehrt haben, die ihr Recht auf (städtischen) Raum mitunter aggressiv einforderten. Wo waren in dieser Zeit eigentlich deren Schwestern ? Und was haben die für Vorstellungen von gesellschaftlicher Teilhabe, von der Freizeitgestaltung in ihrem Viertel – deckt sich das mit den Vorstellungen ihrer Brüder?

Wenn der runde Tisch, zu dem der Bezirk Eltern, Jugendliche und die Polizei eingeladen hat, tatsächlich stattfindet, dann muss es dort auch um diese Frage gehen. Es muss um Räume und Entfaltungsmöglichkeiten für muslimische Frauen, für junge Migrantinnen gehen. Deshalb sollte darauf geachtet werden, dass am runden Tisch nicht nur Väter und Söhne sitzen. Sondern genauso viele Mütter und Töchter. Auch wenn die meist eher leise für ihre Interessen eintreten. Wenn überhaupt.