Als Brennstoff oder Exportgut: Unser Müll ist begehrt. Besser wäre es, ihn zu vermeiden

Seit vielen Jahren schon fahren Karawanen uralter Autos über Terminals des Hamburger Hafens in die Laderäume von Schiffen. Zumeist in Westafrika werden die Rostlauben entladen und freudig in Empfang genommen. Durchaus verrichtet manches Mercedes-Taxi, das schon eine Dreiviertelmillion Kilometer auf dem Tacho hat, dann noch einige Dienstjahre in Ghana oder im Senegal. Erstaunliche Laufleistungen erbringen unter der Sonne des Südens auch viele Familienkutschen, die deren Halter hierzulande lieber nicht mehr bewegen mochten. Vor allem aber, das wissen etwa Hamburgs Zöllner nur zu gut, dienen die alten Vehikel als rollende Container für Elektroschrott und sonstige ausrangierte Güter, für die man in unserer Wohlstandsgesellschaft keine Verwendung mehr findet.

Der häufig legale Elektroschrott-Export weckt in Deutschland kaum Aufmerksamkeit. Auch der Umstand, dass die Importeure – oft mit den Händen von Kinderarbeitern – giftigste Substanzen wie Quecksilber, Blei oder Cadmium aus den Altgeräten extrahieren, erregt nicht viel Anstoß. Was weg ist, ist weg. Durch eine ganz andere Entwicklung indes rücken die speziellen Afrika-Linien der Schrotthändler nun stärker in den Fokus: Immer mehr wird Müll vom Reststoff zum begehrten Rohstoff. Das gilt für ausrangierte Unterhaltungselektronik oder Gebäudetechnik ebenso wie für Hausmüll oder Altkleider. Sei es zur Wiederverwertung oder zur Verbrennung: Müll wird vielerorts knapp. Altpapier oder Kunststoffflaschen sind begehrte Zusätze für Produkte aus Zellstoff oder Erdöl. Sie lassen sich aber auch sehr gut verbrennen, sei es in Kraftwerken oder in Müllverbrennungsanlagen.

Seit Mitte 2005 ist das Deponieren von Hausmüll und Restmüll in Deutschland verboten. Daraufhin expandierte die Branche der Müllverbrenner, die Kapazitäten wurden kräftig ausgebaut. Allerdings hatten sich Kommunen und Privatunternehmen verrechnet – in den Folgejahren gab es zu wenig Müll für all die vielen neuen Öfen. Deshalb freute sich zum Beispiel die Verwertungswirtschaft in Sachsen im Jahr 2008 darüber, mehr als 100.000 Tonnen Hausmüll aus Neapel importieren zu können. Man deklarierte das als europäische Nachbarschaftshilfe für die süditalienische Stadt, die wieder einmal im politischen Chaos zu versinken drohte.

Der Mülltourismus quer durch Europa, der mehr oder minder legale Export von Sondermüll nach Afrika, das sind nur zwei Facetten desselben Problems. Das Ziel einer aufgeklärten Gesellschaft müsste es sein, die Menge an Wohlstandsmüll soweit wie möglich zu minimieren und möglichst viel Gebrauchtes erneut zu verwerten. Das Gegenteil aber ist oft der Fall. Bei kaum einem anderen Thema zeigte sich das in den vergangenen Jahren so deutlich wie beim Pfand auf Kunststoffflaschen: Ein insgesamt gut funktionierendes System von Glas-Pfandflaschen wurde dadurch zerstört. Stattdessen pressen Handelsketten nun in den Sammelautomaten ihrer Filialen zigtausende Tonnen Kunststoffflaschen zusammen. Die wiederum sind den Müllverbrennern ein hoch willkommener Zusatz im Ofen, denn Pet-Flaschen bestehen aus Erdöl.

Auch die Produkte der Unterhaltungselektronik sind längst Ex-und-hopp-Güter geworden. In immer kürzeren Abständen kommen neue Modelle an den Markt und alte aus der Mode – Nachschub für Afrika. Allerdings sind die Rohstoffhändler gerade bei Mobiltelefonen mittlerweile auch in Europa hellhörig geworden, weil Handys begehrte Metalle enthalten, sogenannte Seltene Erden.

Müllverbrennung sollte künftig kein lukratives Geschäftsmodell mehr sein dürfen. Das gilt auch für den Export von Elektroschrott. Oder haben es afrikanische Gesellschaften wirklich nötig, ihre Zukunft auf dem Müll der Europäer aufzubauen?

Der Autor ist Redakteur im Wirtschaftsressort des Abendblatts.