Der Militärputsch in Ägypten beendet erst einmal das Experiment Demokratie am Nil

Ägyptens Generäle haben zu einem Instrument gegriffen, das sie einen Tag zuvor noch vehement ausgeschlossen hatten: dem Militärputsch. Der abgesetzte Präsident Mursi hatte sich mit seiner Trotzhaltung verspekuliert; zwar hatte er die gesamte ägyptische Militärführung ausgetauscht, um einen Coup gegen ihn auszuschließen. Doch nun hat ihn ausgerechnet jener tiefgläubige Mann, den er zum Generalstabschef gemacht hatte, aus dem Amt gefegt. Die Beharrungskräfte des Militärs, das bereits seit 1952 mit Abstand die dominierende Kraft im Staate ist, waren viel größer, als Mursi ahnte.

Das Experiment Demokratie am Nil ist damit im ersten Anlauf gescheitert; es folgt nun die zweite Phase der ägyptischen Revolution. Wie sie sich gestaltet, ist noch unsicher; die unter dem „Pharao“ Mubarak jahrzehntelang drangsalierten Muslimbrüder werden ihre Entmachtung nicht tatenlos hinnehmen. Da Mursi der Versuchung nicht widerstehen konnte, emsig an der Machtkonsolidierung der Muslimbrüder und an einer islamistischen Gesellschaft zu zimmern, anstatt die drängenden sozialen und wirtschaftlichen Probleme des Landes anzupacken, da Ägypten auf einen Bürgerkrieg zusteuerte, blieb den Militärs kaum eine Alternative, als die Reißleine zu ziehen.

Damit bekommt das 85-Millionen-Volk eine neue Chance. Allerdings bleibt der fade Geschmack, dass die erste frei und demokratisch gewählte Regierung ausgerechnet von jener Militärkaste aus dem Amt geputscht wurde, gegen die sich die Revolution ursprünglich gerichtet hatte. Dem Ansehen des Prinzips Demokratie dient das nicht gerade. Und der Umsturz hat noch eine andere Konsequenz. Mithilfe der Demokratie sollten die starken salafistischen Kräfte in Ägypten politisch eingebunden und entradikalisiert werden.

Nun wird das Gegenteil passieren: Den militanten Radikalislamisten dürfte dämmern, dass ein demokratisch strukturierter Staat nur so lange geduldet wird, wie er den Interessen des Militärs entspricht. Viele Salafisten, so steht zu befürchten, werden nun aus dem Untergrund gegen eine gesellschaftliche Öffnung Ägyptens kämpfen. Schon hat die Abrechnung des Militärs mit den Muslimbrüdern begonnen; dies wird die Spaltung im Lande vorantreiben.

Vom neuen starken Mann Ägyptens, General Abdel Fattah al-Sisi, darf aus westlicher Sicht nicht zu viel erwartet werden. Er ist kein Modelldemokrat, und es war immerhin al-Sisi, der einst zum Entzücken der Muslimbrüder die unsäglichen „Jungfrauentests“ an jungen Frauen verteidigt hatte. Obendrein hatten die Militärs nicht allein die Sorge um die öffentliche Sicherheit in Ägypten umgetrieben.

Die Armee ist nicht nur traditionell der stärkste politische Machtfaktor im Lande; ähnlich wie in Pakistan sind die Militärs auch in der ägyptischen Wirtschaft stark und einträglich engagiert. Dass Mursis Politik zum Absturz des wichtigsten Wirtschaftszweiges, des Tourismus, führte und dass er sich anschickte, die Generäle zugunsten der Muslimbrüder von den reichen Pfründen abzuschneiden, waren mitentscheidende Triebkräfte bei diesem Putsch.

Das Problem ist, dass die Militärs derzeit keinen organisierten Partner als Alternative zu den Muslimbrüdern haben. Die übrigen politischen Kräfte sind eher diffus und zerstritten. Es war ein kluger Schachzug von General al-Sisi, bei seiner Putsch-Verkündung den international renommierten Diplomaten Mohammed al-Baradei, den Kopten-Papst Tawadros und den Imam der angesehenen Kairoer Al-Azhar-Universität neben sich zu setzen. Dies erhöht, zumindest in der Außenwirkung, die Legitimität des Militärcoups. Ein zweiter Anlauf zur Vollendung der ägyptischen Revolution könnte zunächst eine Demokratie light unter der Oberhoheit des Militärs bringen. Nicht gerade ideal – doch besser als ein Bürgerkrieg.