Hamburg lässt erstmals seine Kreditwürdigkeit bewerten. Das kann später teuer werden

Der Mann war erkennbar in Rage. „Es kann nicht sein, dass das Wohl und Wehe der europäischen Staaten von der Daumenhaltung demokratisch nicht legitimierter Rating-Agenturen abhängig gemacht wird“, schimpfte Peer Steinbrück im Dezember 2011 auf einem SPD-Parteitag. Seinerzeit hatte eine US-Rating-Agentur die Kreditwürdigkeit von 15Staaten der Euro-Zone in Zweifel gezogen und damit einige Turbulenzen ausgelöst. Später, bereits als Kanzlerkandidat, legte Steinbrück nach und kündigte an, er wolle „die Macht der Rating-Agenturen brechen“. Gemeint waren die drei US-amerikanischen Großunternehmen Moody’s, Standard & Poor’s und Fitch, die etwa 90Prozent des Markts dominieren. Dazu gab und gibt es nicht nur aus Sicht der Sozialdemokraten ausreichend Gründe. Denn mit ihrem AAA, das sie bis 2008 auf jede bessere Frittenbude geklebt hatten, haben die Rating-Agenturen die weltweite Finanzkrise zumindest mit ausgelöst. Selbst erfahrene Finanzmanager und Bankberater hatten Triple A angenommen wie Moses die Zehn Gebote und Produkte mit diesem Label völlig unkritisch beworben – die Zeche zahlten am Ende auch Millionen Kleinanleger weltweit.

Dass nun ausgerechnet ein SPD-geführter Senat Hamburg erstmals dem Urteil einer Rating-Agentur unterwirft, entbehrt also nicht einer gewissen Ironie. Dem Finanzsenator Peter Tschentscher ist das natürlich bewusst, daher verweist er brav auf die Haltung seiner Partei, die seit Langem die Einrichtung einer europäischen Rating-Agentur fordert. Auf der anderen Seite betont er zu Recht, dass er verpflichtet sei, die Zinsausgaben der Stadt so niedrig wie möglich zu halten. Und da ein Bundesland mit einem AAA-Rating nun mal günstiger an Geld kommt als ohne, ist die Zusammenarbeit mit Fitch gut für die Stadt.

Aber ist sie deshalb auch richtig? Denn so erfreulich die Bestnote ist, die die Agentur der Stadt gegeben hat, so zeigt sie auch die Absurdität und die Gefährlichkeit der ganzen Veranstaltung. Allein Hamburgs Kernhaushalt wird von knapp 25 Milliarden Euro Schulden gedrückt – bei einem Jahresetat von zwölf Milliarden schlicht eine Überschuldung. Noch dramatischer sieht es aus, wenn man die Stadt als Unternehmen betrachtet: Die Summe aller ihrer Verbindlichkeiten, also inklusive der Schulden der öffentlichen Unternehmen, übersteigt mittlerweile den Wert Hamburgs mitsamt allen Straßen, Brücken, Parks, öffentlichen Gebäuden und was sonst noch so dazugehört. Tschentscher selbst fasste es so zusammen: „Wäre Hamburg ein Unternehmen, wäre es pleite.“ Vorausgesetzt, dass es für „pleite“ keine Steigerung mehr gibt, ist die stolze Hansestadt also streng genommen finanziell in der gleichen Situation wie Griechenland – mit dem gravierenden Unterschied, dass die Rating-Agenturen über der Akropolis den Daumen gesenkt haben und das Land daher aller Finanzierungsmöglichkeiten beraubt haben, während sie der Pleitefirma Hamburg nun die Bestnote in Sachen Kreditwürdigkeit verleihen.

Die Begründung liegt natürlich auf der Hand: Die Hansestadt darf sich nicht wegen, sondern trotz ihrer finanziellen Lage mit AAA schmücken, weil sie im Gegensatz zu manchem Pleitestaat ihre Kredite immer pünktlich bedient, deutlich seriöser gemanagt wird, im Hintergrund notfalls noch der Bund steht – und sich das auf Sicht auch nicht ändern wird.

Doch was ist eigentlich, wenn die Rating-Agenturen ihre Bewertungsmaßstäbe ändern? Wenn sie irgendwann befinden, dass überschuldete Kommunen – das gilt ja nicht nur für Hamburg – nicht mehr automatisch ein Triple A verdient haben? Dann könnte es für Hamburg teuer werden. Man kann dem Senat nur wünschen, dass er sich nicht eines Tages fragen muss, welche Geister er da gerufen hat. Die Antwort würde lauten: die, die er zuvor immer verflucht hat.