Vor vier Jahren hatte das Abendblatt Carla aus Sasel bei ihrer Einschulung begleitet. Jetzt blickt sie wehmütig zurück – und freut sich auf die 5. Klasse

Sasel. Morgens pünktlich um 7.40 Uhr steigt Carla aufs Rad und fährt los. Höchstens sieben Minuten dauert es, dann ist sie in ihrer Schule. „Ich komme immer zu früh“, sagt sie. „Dann kann man noch ein bisschen quatschen.“

Auch am heutigen Mittwoch wird die Schülerin aus Sasel ihren roten Schulranzen mit dem Froschkönig auf den Rücken schwingen und mit einem fröhlichen „Tschüs“ aus der Haustür laufen. Alles wie immer? Nein, dieser Mittwoch ist etwas ganz Besonders: Es ist Carlas letzter Tag als Grundschulkind. Heute bekommt sie ihr Abschlusszeugnis. Nach den Sommerferien wechselt die Zehnjährige – wie viele andere Kinder – auf die weiterführende Schule.

Vier Jahre ist es her, dass Carla in die Klasse 1b der Schule Alsterredder eingeschult wurde. Das Abendblatt hatte sie schon in ihrer ersten Schulwoche begleitet und war auch dabei, als sie ihr erstes Zeugnis bekam. Jetzt, kurz vor dem Ende der Grundschulzeit, wollten wir wissen, wie es dem Mädchen mit der frechen Zahnlücke ergangen ist. „Die habe ich ja schon lange nicht mehr“, sagt sie. Das ist ihr wichtig. Aber das verschmitzte Lächeln, das ist immer noch das gleiche.

Um es gleich vorweg zu sagen: Carla geht gern in die Schule. „Mir macht es Spaß.“ Sie mag ihre Schule mit dem großen Pausenhof. Sie lernt gern, ihre Lieblingsfächer sind Mathe, Deutsch und Kunst. Ach ja, Englisch auch. „Sachkunde und Sport finde ich nicht so gut.“ Sie mag ihre Klasse. „Ich habe mehrere beste Freundinnen.“ Und sie mag ihre Lehrerin. „Sie ist nett, freundlich und fair“, sagt sie. „Aber manchmal muss sie auch was sagen, wenn es zu laut wird.“ Dann zeigt sie den Leisefuchs“, sagt die Viertklässlerin und macht mit den Fingern ein Zeichen. „Das soll ein Fuchs sein, der sein Maul zu hat.“ Meistens wird es dann still.

Diese Regel gibt es schon seit dem ersten Schultag in der 1b. Genau wie Momo, das Plüsch-Känguru. Schließlich sind die 27 Mädchen und Jungen in der Känguru-Klasse. „Ich weiß noch genau, wie aufgeregt ich vor der Einschulung war“, sagt Carla. „Aber freudig. Ich wollte unbedingt Lesen und Schreiben lernen.“ Jetzt kann sie sich gar nicht mehr vorstellen, dass sie das einmal nicht konnte. Inzwischen liest sie auch mal ein Buch pro Tag und rechnet mit Brüchen. Statt Rechenrahmen gibt es in ihrem Klassenraum jetzt ein Smartboard. Inzwischen ist die Klasse auch einmal umgezogen. Für die erste Garnitur kleiner Stühle sind sie längst zu groß. „Wir haben in Kunst auch Bilderbücher selbst gemacht“, erzählt Carla, die ihre Haare inzwischen mehr als schulterlang trägt und dazu ein Pailletten-T-Shirt mit Rolling-Stones-Motiv. Dann flitzt sie los und holt eine gelbe Rolle, auf der ein Löwe klebt. „Da drin ist meine Buchvorstellung von ,Mimi in Afrika’“, sagt sie stolz. „Dafür habe ich eine 1 bekommen.“

Die Viertklässlerin freut sich, aber ein bisschen Abschiedsschmerz ist dabei

Sie ist überhaupt ziemlich gut in der Schule. Carla selbst würde das so nicht sagen, aber dass sie aufs Gymnasium gehen wird, so wie ihre Schwester Lilli, war schnell klar. Bislang war das noch ziemlich weit weg. Aber jetzt ist sie doch ein wenig unsicher. Am Sonnabend gab es ein Klassenfest, mit Eltern und Geschwistern. Sie haben Stocktanzen gemacht und Jungen-Schminken. Und dann haben alle zusammen in der Turnhalle übernachtet. „Das war toll“, sagt Carla. Sie sagt auch: „Es ist schon traurig, dass ich meine Schule verlasse.“ In den vier Jahren ist einiges passiert an Hamburger Schulen. Die Primarschulreform, mit dem gemeinsamen Lernen bis zur sechsten Klasse, ist doch nicht eingeführt worden. Fast alle Grundschulen der Stadt bieten inzwischen ganztägige Betreuung, auch die Schule Alsterredder. Es wurde und wird viel gebaut. Für Carla waren natürlich andere Sachen viel wichtiger, die Klassenreise nach Schleswig etwa.

Zum letzten Mal geht sie heute mit ihrem Ranzen los, der schon ziemlich klein geworden ist. Zum letzten Mal radelt sie den bekannten Weg, der ihr jetzt viel kürzer vorkommt als am Anfang. Zum letzten Mal geht sie in der Pause mit ihren Freundinnen über den Schulhof in ihre Lieblingsecke. „Da, wo nicht so viele von den Kleinen rumwuseln.“ Es ist nicht so, dass sie die nicht mag. In diesem Schuljahr ist sie Patin für ein Mädchen aus der ersten Klasse. Sie hat ihm alles gezeigt, auch mit ihm gespielt. Da ist ihr die Patin eingefallen, die sie selbst in der ersten Klasse hatte. „Die war damals so groß. Und jetzt bin ich das“, sagt Carla und es klingt, als würde sie sich darüber ein bisschen wundern.

Wenn sie am 5. August in dem Gymnasium in Poppenbüttel anfängt, ist sie wieder eine von den Kleinen. Das ist irgendwie auch ein Rückschritt. „Ja“, sagt Carla zögerlich, „aber ich freue mich auch darauf. Es ist was Neues.“ Mit neuen Mitschülern, neuen Lehrern. „Und ich finde Englisch so cool.“ Mögliche Bedenken wischt sie beiseite. „Erst mal lernen wir ja alles kennen.“

Da hört sich ihre Mutter fast noch ein bisschen wehmütiger an. „Carla hatte eine sehr schöne Grundschulzeit“, sagt sie. Auch für die Familie aus Sasel ist es ein Abschied. „Jetzt haben wir zwei große Mädchen.“ Heute, nach dem großen Abschlusssingen auf dem Schulhof, wird sie ihre „Carli“ abholen. Vielleicht fließen auch ein paar Tränen. Aber dann sind ja erst Mal Sommerferien. „Früher war ich manchmal traurig, wenn ich in den Ferien nicht zur Schule konnte“, sagt Carla. „Das ist jetzt nicht mehr so.“ Sie ist jetzt eine Große.