“Wir sind verzweifelt.“ Gestrandete Flüchtlinge wollen in Hamburg bleiben. Doch der Senat macht ihnen keine Hoffnung. Seit zwei Monaten sind insgesamt etwa 300 Flüchtlinge in der Hansestadt.

Hamburg. Isaac Ofari, 27, und Ibrahim Mohammed, 22, sitzen auf einer Parkbank hinter dem Bismarck-Denkmal. Um sie herum sind Decken und Kleidung zum Trocknen in der Sonne ausgebreitet. Hier schlafen die beiden libyschen Flüchtlinge unter freiem Himmel. Wenn es wie so oft in diesen Tagen regnet, werden ihre wenigen Habseligkeiten nass - wie sie selbst auch. "Essen bekommen wir von der Kirche, ansonsten kümmert sich niemand um uns", erzählt Ofari. Zu tun gibt es wenig. Seit zwei Monaten sind insgesamt etwa 300 Flüchtlinge in der Hansestadt, zuvor verbrachten die Wanderarbeiter drei Jahre lang in einem Flüchtlingslager in Italien. Am liebsten würden sie dauerhaft in Hamburg bleiben und sich hier ein neues Leben aufbauen. "Wir sind verzweifelt, wir wollen unsere Zukunft endlich selbst gestalten", sagt Ibrahim Mohammed.

Doch dieser Wunsch dürfte sich zumindest in Hamburg nicht erfüllen, wie die Sozialbehörde Vertretern der Flüchtlinge bei einem Gespräch am Dienstagvormittag deutlich machte. Die Libyer müssen die Hansestadt in absehbarer Zeit wieder verlassen. Die Politik bemüht sich auf allen Ebenen um eine Lösung. "Wir klären zurzeit, wie die Betroffenen, deren Visa abgelaufen sind, nach Italien zurückkommen", sagte Sozialsenator Detlef Scheele (SPD). Via Landesvertretung ist der Senat mit Berlin im Kontakt. Auch die Bundesregierung sei mit der italienischen Regierung über diese Thematik im Gespräch, erklärte ein Sprecher des Bundesinnenministeriums am Dienstag. Bei einem Treffen Mitte Mai hätten sich die italienischen Vertreter wie rechtlich vorgesehen zur Rückübernahme der Menschen bereit erklärt. Liefen die Visa der Flüchtlinge aus, könnten aufenthaltsbeendende Maßnahmen in Betracht kommen, sagte Ministeriumssprecher Hendrik Lörges.

Die Sozialbehörde berät zusammen mit der Kirche und dem Diakonischen Werk darüber, wie den Menschen zumindest kurzfristig - das heißt: für wenige Wochen - geholfen werden kann und sie ein Dach über den Kopf bekommen. In allen Bezirken wird nach einer geeigneten Unterbringung gesucht - bisher ohne Erfolg, weil die Belegungssituation bei öffentlichen Unterkünften ohnehin angespannt ist. Eine Unterbringung in Zelten lehnt Scheele ab. "Wir arbeiten mit Hochdruck an einer Lösung, die den Menschen gerecht wird, zugleich aber auch der Rechtslage - mit dem Ziel, dass die Flüchtlinge dahin zurückkehren, wo sie arbeiten und wo sie sein dürfen", sagte Swantje Glismann, Büroleiterin von Innensenator Michael Neumann (SPD).

Die libyschen Flüchtlinge waren über das Mittelmeer von Nordafrika nach Italien gekommen und dort zunächst in temporären Flüchtlingsaufnahmeeinrichtungen untergebracht. Als die EU-Hilfe für sie auslief und die Einrichtungen geschlossen wurden, wollte Italien sie loswerden. Wie das Abendblatt berichtete, erhielten die Menschen nach eigenen Schilderungen 500 Euro Prämie von der italienischen Regierung dafür, dass sie die Unterkunft freiwillig verlassen, und wurden zugleich mit Schengenvisa ausgestattet, mit denen sie sich drei Monate lang in Deutschland aufhalten können. Das geht aus einem Schreiben des Bundesinnenministeriums an die Ausländerbeauftragten der Länder hervor.

Bemerkenswert ist, dass ein großer Teil der Flüchtlinge nach Hamburg kam. Insgesamt soll "eine mittlere dreistellige Zahl" von Libyern nach Deutschland ausgereist sein - 300 von ihnen mit der Hansestadt als Ziel. In der Bundesrepublik haben sie keinerlei Anspruch auf Unterstützung, auf Arbeitserlaubnis, Unterbringung und Sozialleistungen. Nach einigen Wochen im Winternotprogramm sind sie nun obdachlos. "Es wäre unverantwortlich, falsche Erwartungen zu wecken; die Rückreise ist die einzige Option", sagte Sozialsenator Scheele. Nach Abendblatt-Informationen läuft die Dreimonatsfrist, innerhalb derer die Menschen sich in den Schengenländern aufhalten dürfen, bei den meisten der Libyer demnächst aus oder ist bereits abgelaufen.

In der Politik sorgt das Verhalten der italienischen Regierung, die Flüchtlinge mit Aufenthaltstiteln für andere Schengenländer zu versorgen und ihnen sogar 500 Euro Prämie zu zahlen, für Empörung. An diesem Mittwoch wird sich die Bürgerschaft auf Antrag der Linken in der Aktuellen Stunde mit dem Thema befassen. "Wenn sich bewahrheitet, dass Italien eine Prämie gezahlt hat, ist dies ein Skandal, der europaweit aufzuklären ist", sagte der CDU-Innenexperte Kai Voet van Vormizeele.

Der Senat habe den stark wachsenden Zustrom afrikanischer Flüchtlinge nach Hamburg über Wochen ignoriert, kritisierte die FDP-Sozialpolitikerin Martina Kaesbach. "Jetzt muss der Sozialsenator unter hohem Zeitdruck handeln, um die menschenunwürdigen Zustände zu beheben, unter denen die Flüchtlinge leiden."

"Für mich ist das ein unverständlicher Vorgang. Ich weiß nicht, auf welcher Rechtsgrundlage die Italiener da handeln", sagte auch der SPD-Bundestagsabgeordnete Johannes Kahrs. Manuel Sarrazin, der für die Grünen im Bundestag sitzt, erklärte: "Es ist nicht zu rechtfertigen, dass die italienische Politik zu illegalen Mitteln greift, abgesehen von der menschlichen Zumutung für die Flüchtlinge, denen dadurch ein ordentliches Asylverfahren versperrt wird." Allerdings sei Italien von der sehr großen Zahl von Flüchtlingen überfordert. Sarrazin forderte, es müsse einen stärkeren europäischen Ausgleich geben, gegen den Deutschland sich aber bislang sperre. Erst einmal müsse man den betroffenen Menschen helfen, forderte der FDP-Bundestagsabgeordnete Burkhardt Müller-Sönksen. Deutschland müsse das Verhalten Italiens aber beim nächsten EU-Treffen ansprechen. Schengenvisa für diese Menschen auszustellen sei keine Lösung. Zurückhaltender äußerte sich Scheele: "Mich wundert so ein Verhalten", sagte er zum Vorgehen Italiens.