Politik, Firmen und Gewerkschaften wollen eng kooperieren. Es geht um das stärkere Einbeziehen von Frauen, Älteren, Migranten und Behinderten sowie das Anwerben von Fachkräften aus dem In- und Ausland.

Hamburg. Mit einem breit angelegten Bündnis will die Hansestadt dem drohenden Fachkräftemangel entgegenwirken. Behörden, Arbeitgeberverbände, Gewerkschaften und Kammern einigten sich am Dienstag auf eine gemeinsame Strategie, mit der das auf lange Sicht schrumpfende Angebot an Arbeitskräften bekämpft werden soll. Im Kern geht es um die Qualifizierung von Fachkräften, um das Ausschöpfen des vorhandenen Potenzials, also um das stärkere Einbeziehen von Frauen, Älteren, Migranten und Behinderten sowie das Anwerben von Fachkräften aus dem In- und Ausland. Zudem sollen Fachkräfte mit attraktiven, familienfreundlichen Arbeitsbedingungen und höheren Löhnen angelockt werden. Dazu soll die "Willkommenskultur" der Stadt verbessert werden. Die Wirtschaft verspricht, stärker auf bisher am Arbeitsmarkt benachteiligte Gruppen, wie ältere Fachkräfte, Schwerbehinderte und Migranten zurückzugreifen.

Der federführende Sozialsenator Detlef Scheele bezeichnete das Fachkräftenetzwerk als "in dieser Form einzigartig", weil sich alle unterschiedlichste Interessengruppen auf ein gemeinsames Ziel verständigt haben. "Wir wollen schon heute die Strukturen schaffen, die wir in der Zukunft dringend brauchen, um alle vorhandenen Erwerbspersonenpotenziale zu nutzen: Jeder Jugendliche soll die Schule mit einem Anschlussperspektive verlassen. Wir müssen die Vereinbarkeit von Familie und Beruf verbessern, um insbesondere Frauen bessere Chancen auf gleiche Löhne und Karrierechancen zu ermöglichen", sagte Scheele bei der Vorstellung des Bündnisses im Rathaus.

Zugleich machte er deutlich, dass der Fachkräftemangel in Hamburg noch nicht so problematisch sei wie in anderen Regionen. "Wir haben noch fünf bis sieben Jahre Zeit, die heute beschlossene Strategie zum Leben zu erwecken." Eine aktuelle Studie stützt Scheeles Einschätzung. Die Untersuchung belegt die Attraktivität Hamburg aus der Sicht von jungen, qualifizierten Arbeitskräften: Auf je 100 in der Hansestadt ausgebildete Studenten wird Hamburg 167 Uni-Absolventen aus anderen Bundesländern hinzugewinnen. Das ist eines der Resultate einer Umfrage des Zeitarbeitsunternehmens Studitemps in Zusammenarbeit mit der Maastricht University unter 18.700 Studierenden bundesweit. Demnach wird es unter den Absolventen in verschiedenen Bundesländern in den nächsten Jahren zu massiven Wanderungsbewegungen kommen. Neben Hamburg gehören Berlin (Zugewinn von 78 Studenten auf je 100 in Berlin Ausgebildete) sowie Bayern und Baden-Württemberg zu den Gewinnern, während Brandenburg 72 von 100 seiner eigenen Studierenden verlieren dürfte. Deutlich negativ ist der Saldo auch in Sachsen-Anhalt, Thüringen, Rheinland-Pfalz und Mecklenburg-Vorpommern. Aus der Befragung ergibt sich zudem eine weitere alarmierende Zahl im Hinblick auf den drohenden Fachkräftemangel: Rund jeder vierte Studierende in Deutschland plant den Jobeinstieg im Ausland.

Mittelfristig wird sich Hamburg aber nicht dem demografischen Wandel und dem Schrumpfen der Bevölkerung entziehen können. Nach Berechnungen des Statistischen Bundesamts wird in Hamburg der Umfang der erwerbsfähigen Bevölkerung von 2020 an kontinuierlich abnehmen. Grund ist der demografische Wandel. Im Jahr 2060 wird die Stadt 300.000 Erwerbsfähige weniger haben als heute. "Nicht die großen Unternehmen, die mit üppigem Etat sexy Personalstrategien entwickeln können, werden ein Problem haben, sondern die Local Heroes, kleine Betriebe, deren Chef die Personalplanung im Zweifel am Sonntagabend in der Badewanne macht", prognostizierte Michael Thomas Fröhlich, vom Unternehmensverband Nord.

Der Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer, Frank Glücklich, ergänzte: "Einige Branchen haben bereits heute Schwierigkeiten, gut ausgebildete Mitarbeiter zu finden." Das betreffe Betriebe in der Holz- und Kunststoffverarbeitung, im Metallbau und im Ausbaugewerbe. Für Wirtschaftssenator Frank Horch (parteilos) ist diese Situation bedenklich: Die Sicherung der Fachkräfte ist aus seiner Sicht wichtig, um die Wettbewerbsfähigkeit Hamburgs in der volatilen Weltwirtschaft wettbewerbsfähig zu halten.

Uwe Grund, Landesvorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), sagte für Unternehmen sei die Zeit der Bestenauslese vorbei. Er appellierte an die Wirtschaft damit aufzuhören, benachteiligte Jugendliche vorschnell als nicht ausbildungsfähig abzuschreiben. Der Hauptgeschäftsführer der Handelskammer Hans-Jörg Schmidt-Trenz nannte bereits erste konkrete Schritte, um Schulabgänger auf die Arbeitswelt vorzubereiten: "Zur Verbesserung des Übergangs von Schule zum Beruf werden schon ab kommenden Jahr Tausende Praktikumsplätze von den Unternehmen angeboten. Laut einer Umfrage der Handelskammer sehen 25 Prozent der Betriebe den Fachkräftemangel als Risiko.