“Hamburger Appell“ mahnt eine faire Bezahlung an. Die erste Tarifrunde für insgesamt 70.000 Beschäftigte im Einzelhandel ergebnislos vertagt.

Hamburg. Hamburgs Einzelhandel stehen harte Zeiten bevor. Selbst Streiks sind in der aktuellen Tarifrunde, die am Dienstag begonnen hat, nicht ausgeschlossen. Doch während die Gewerkschaft Ver.di für die rund 70.000 Beschäftigten der Branche in der Hansestadt Lohnerhöhungen von 150 sowie 90 Euro für Auszubildende fordert, werden vermutlich Dutzende Mitarbeiter bei Deutschlands größtem Lebensmittelhändler davon nicht profitieren. Denn sie sind bei den rund 80 Hamburger Edeka-Einzelhändlern in der Stadt beschäftigt, die laut der Gewerkschaft den offiziellen Tarifvertrag der Branche ignorieren und ihren Mitarbeitern oft weniger bezahlen.

Nur die Filialkette Niemerszein bilde eine Ausnahme, sagte Ver.di-Fachbereichsleiter Arno Peukes, der nun den Druck auf Edeka erhöhen will. Im Rahmen eines "Hamburger Appells" sammelte die Gewerkschaft in den vergangenen Wochen in der Stadt rund 2500 Unterschriften von Edeka-Kunden, die wie Ver.di eine tarifliche Bezahlung beim Handelsprimus fordern. Jetzt übergaben Ver.di-Vertreter die Liste an das Unternehmen in der City Nord. Rund 140.000 der 318.000 Edeka-Mitarbeiter sind in Märkten von selbstständigen Einzelhändlern beschäftigt.

"Wir sind der falsche Ansprechpartner in dieser Angelegenheit", meinte ein Edeka-Sprecher. "Im selbstständigen Edeka-Einzelhandel liegt die Gestaltung der Arbeitsbedingungen in der Zuständigkeit der Kaufleute, die als selbstständige, mittelständische Unternehmer eigenverantwortlich handeln." Auch die Bezahlung der Mitarbeiter sei Sache der Einzelhändler. Einen Imageschaden fürchtet er wegen der Kampagne nicht. "Für den Edeka-Verbund haben gute Arbeitsbedingungen aller Beschäftigten hohe Priorität. Die bislang vorliegenden Vorwürfe von Ver.di stützen sich auf wenige Einzelfälle, die in unzulässiger Weise pauschalisiert werden."

Tatsächlich wirbt die Genossenschaft in einem aktuellen Positionspapier dafür, dass gut ausgebildete und qualifizierte Mitarbeiter das wichtigste Kapital des Lebensmittelhändlers seien. "Daher sind sich die Kaufleute ihrer hohen Verantwortung für ihre Beschäftigten bewusst", heißt es. "Mit einer leistungsgerechten Entlohnung, Weiterbildungs- und Qualifizierungsmaßnahmen sowie Aufstiegsmöglichkeiten für die Beschäftigten schaffen die selbstständigen Edeka-Einzelhändler die erforderlichen Voraussetzungen."

Von solch guten Bedingungen können viele der Verkäufer im Hamburger Einzelhandel offenbar nur träumen. "Die Arbeitsverträge aus nicht tarifgebundenen Märkten zeigen, dass sich hier die Kaufleute von Edeka auf Kosten ihrer Beschäftigten bereichern. Für diese bleibt am Ende eines Monats immer häufiger nur der Gang zum Sozialamt, um hier aufstockende Sozialleistungen zu beantragen", so Peukes. Der Verbund stehe in der Pflicht, dafür mitzusorgen, dass auch die Beschäftigten privatisierter Märkte nach Tarif bezahlt werden.

"Wer damit wirbt, dass er Lebensmittel liebt, dem sollten die eigenen Beschäftigten und ihre Absicherung nicht egal sein." Schon im vergangenen November hatte Ver.di die Praktiken der Edeka-Einzelhändler angeprangert.

Doch jetzt legte Peukes konkrete Beispiele aus Hamburg vor. "Eine langjährig tätige Verkäuferin bei Niemerszein verdient einen tariflichen Stundenlohn von rund 12,60 Euro, eine vergleichbare Beschäftigte erhält jedoch in einem nicht tarifgebundenen Markt lediglich 6,60 Euro in der Stunde", so der Gewerkschafter. "Das zeigen uns vorliegende Arbeitsverträge." Die Geschäftsleitung des betroffenen Marktes im Hamburger Westen reagierte auf die Vorwürfe vehement: "Das stimmt nicht, wir bezahlen unsere Mitarbeiter leistungsgerecht", hieß es. Zu dem konkreten Fall wollte sich die Filiale aber nicht äußern. Einen gültigen Tarifvertrag einzuführen, lehnt sie zudem ab.

Unterdessen sind die Tarifverhandlungen für Hamburgs Einzelhandel am Dienstag ergebnislos abgebrochen und auf den 10. Juni verlegt worden. Peukes bezeichnete dies als Skandal. "Während sich die Umsatz- und Gewinnzahlen der Branche gut entwickelt haben, will der Arbeitgeberverband seinen Beitragsunternehmen jetzt einen weiteren Schluck aus der Flasche präsentieren, den diejenigen bezahlen sollen, die heute schon mit ihrem Einkommen kaum noch klarkommen: die Beschäftigten." Für die Arbeitgeber ist die Ver.di-Forderung dagegen deutlich überhöht. Sie entspreche Steigerungen von sechs bis neun Prozent. "Das ist nicht realistisch; das gibt die Ertragslage im Hamburger Einzelhandel nicht her", sagte Wolfgang Linnekogel, Geschäftsführer der Fachverbände des Hamburger Einzelhandels. Die Arbeitgeber wollten keinem Beschäftigten etwas wegnehmen, aber die Tarifverträge modernisieren. Manche Bestimmungen aus den 1950er- und 60er-Jahren seien nicht mehr zeitgemäß. So würden angelernte Kassierer besser bezahlt als Einzelhandelskaufleute mit dreijähriger Ausbildung.

Ver.di kündigte Arbeitskämpfe an. "Unsere Kolleginnen und Kollegen leisten jeden Tag gute Arbeit. Deshalb haben sie auch ein Recht auf gute Arbeitsbedingungen und faire Einkommen", so Peukes. Eine Befragung unter 14.000 Beschäftigten des Hamburger Handels habe zudem gezeigt, dass die Sorge um das Einkommen für die meisten Mitarbeiter mit einem hohen Gesundheitsrisiko verbunden sei. Dies werde vom Arbeitgeberverband genauso ignoriert, wie die ständig steigende Gesundheitsbelastung am Arbeitsplatz. "Wer sich vor diesem Hintergrund traut, Einkommenseinbußen von 300 bis 1000 Euro zu fordern, zeigt deutlich, was er meint, wenn er von Modernisierung spricht."

In die Arbeitskämpfe will die Gewerkschaft auch das aus der Tarifbindung ausgetretene Unternehmen Karstadt einbeziehen. "Karstadt zeigt, wo der wirkliche Modernisierungsbedarf ist, nämlich beim Arbeitgeberverband. Wer seinen Mitgliedsunternehmen die Möglichkeit der Tarifflucht anbietet, legt die Fackel an den Flächentarifvertrag und an die Möglichkeit verlässlicher Tarifregelungen für alle Beschäftigte des Einzelhandels", so Peukes.