Produzierende Betriebe müssen zunehmend dem Wohnungsbau weichen. Große Engpässe in beliebten Vierteln wie Ottensen oder Winterhude. Handwerker und Gewerbetreibende gründen Initiative.

Hamburg. Über mangelnde Aufträge kann sich Tobias Trapp nicht beklagen. Dicht an dicht drängen sich Motorräder, schmutzverkrustete Enduros und Roller vor seiner Werkstatt am Rande von Ottensen. In der verwitterten Halle auf dem ehemaligen Fabrikgelände an der Friedensallee riecht es nach Öl und heißem Metall, während Mitarbeiter Kettensätze und andere Verschleißteile auswechseln. "Bei uns herrscht jetzt Hochbetrieb, weil alle Motorradfahrer ihre Maschinen flottmachen", sagt der 41-Jährige.

Doch die gute Auftragslage hilft Tobias Trapp wenig. In einigen Monaten muss er trotzdem aus der Halle raus. "Unser Mietvertrag läuft Ende dieses Jahres aus, danach will der Eigentümer auf diesem Gelände Wohnungen errichten", sagt der Chef. Es ist nicht das erste Mal, dass Trapp mit seiner Werkstatt umziehen soll. 15 Jahre saß der Motorradfan an der Stahltwiete in Bahrenfeld, bevor im Jahr 2010 dem neuen Fernsehstudio von ZDF-Talker Markus Lanz weichen musste. "Einmal habe ich das mitgemacht, jetzt lasse ich mich nicht mehr so schnell vertreiben", sagt Trapp entschlossen.

Zusammen mit 25 anderen Handwerkern und Gewerbetreibenden hat Trapp die Initiative Kolbenhof gegründet, benannt nach dem Industriebetrieb Kolbenschmidt, der auf dem Gelände früher für die Rüstungsschmiede Rheinmetall Metallteile fertigte. Tischler, Autohändler, Requisiteure, Schiffsausstatter oder auch eine kleine Rösterei haben sich heute in den alten Hallen angesiedelt. Alle mit befristeten Mietverträgen und alle mit ähnlichen Umzugsgeschichten wie die von Trapp. Gemeinsam wollen sie dafür kämpfen, auf dem Gelände bleiben zu können. "Wir sind auf Flächen für maximal sieben Euro pro Quadratmeter angewiesen, doch die gibt es sonst nirgends in der Nachbarschaft."

Aus Sicht der Hamburger Handwerkskammer ist der Fall Kolbenhof symptomatisch für die Lage vieler Kleinbetriebe in der Stadt. "Insbesondere für die produzierenden Handwerker wird es immer schwieriger, noch geeignete und bezahlbare Gewerbeflächen zu finden", sagt der Leiter der Betriebsberatung in der Kammer, Niels Weidner. Besonders groß seien die Engpässe derzeit in den Bezirken Altona, Eimsbüttel und Nord.

Dabei geraten die Unternehmen vor allem mit neuen Wohnungsbauvorhaben in Konflikt. 23 Betriebe in ganz Hamburg haben Weidner und sein Team in den letzten zwölf Monaten beraten, die von der Verdrängung durch neue Miet- oder Eigentumswohnungen betroffen sind. Drei der Firmen seien in den Speckgürtel nach Halstenbek, Ahrensburg oder Norderstedt abgewandert, nur sechs hätten eine andere Bleibe gefunden. In allen anderen Fällen gebe es noch keine Lösung.

Um die Zukunft seines Betriebs bangt derzeit auch der Chef der Glaserei M. Leithner & Söhne, Wolfgang Leithner. Seit mehr als 100 Jahren sitzt die kleine Firma in einem mehrgeschossigen Wohnhaus an der Semperstraße in Winterhude. Doch das Gebäude wurde verkauft, und nun hat Leithner die Kündigung zum Frühjahr kommenden Jahres bekommen. Die Wohnungen im Haus sollen saniert und der Laden im Erdgeschoss umgewandelt werden. "Mein Großvater Stanislaus hat das Unternehmen an diesem Standort gegründet, da hängt unsere ganze Firmengeschichte dran", sagt der Inhaber. "Es wird sehr schwer werden, vergleichbare Räumlichkeiten in Winterhude zu finden." Vor allem die Kombination aus Verkauf und Produktion sei eigentlich nur an dem jetzigen Standort möglich. "Ich habe mir schon Alternativen angeschaut, aber nichts kam infrage."

Leithner beobachtet die Verdrängung von produzierenden Betrieben in Winterhude schon seit Jahrzehnten. "Erst wurden die alten Unternehmen durch ruhigere Mieter wie Architekten oder Fotostudios ersetzt, nun wird die noch verfügbare Fläche in Wohnraum umgewandelt."

Die Handwerkskammer dringt nun darauf, die Belange kleiner Firmen bei der Flächenplanung und der Änderung von Bebauungsplänen stärker zu berücksichtigen. Dabei geht es nicht darum, die Betriebe gegen den wichtigen Wohnungsbau auszuspielen. "Für die Lebensqualität in unserer Stadt ist bezahlbarer Wohnraum ebenso notwendig wie bezahlbare Gewerbeflächen", sagt Kammerpräsident Josef Katzer. "Wer das Handwerk aber nicht aus den Städten vertreiben will, muss den Bestand sichern und attraktive Angebote für Neuansiedlungen schaffen." Ein erster Schritt sei der Masterplan Handwerk, durch den die Kammer in die Planung der Bezirke eingebunden wird.

Auch den Handwerkern der Initiative Kolbenhof geht es nicht darum, ihre Interessen komplett auf Kosten des Wohnungsbaus durchzusetzen. Auf eigene Rechnung haben sie ein Konzept für die künftige Nutzung des Areals entwickelt. Mit dem Eigentümer Rheinmetall und dem Bezirksamt Altona befinde man sich in konstruktiven Gesprächen, betont Trapp. "Schriftlich haben wir aber nur die Kündigung."

"Uns liegt sehr daran, das Areal zu einem lebendigen und attraktiven urbanen Quartier weiterzuentwickeln", beteuert Rheinmetall-Sprecher Oliver Hoffmann. "Lokales Gewerbe und Handwerk sollen vom Grundsatz her auch künftig ein wichtiger Bestandteil des städtischen Lebens dort sein."

Laut Bezirksamt Altona hat es zuletzt eine ganze Reihe von Umwandlungen von Gewerbe in Wohnraum gegeben wie etwa beim Othmarschenpark oder dem alten Electrolux-Gelände an der Ecke Max-Brauer-Allee/Holstenstraße. Man bemühe sich aber, auch neue Gewerbeflächen zu identifizieren.

Doch selbst wenn eine Mischung aus Wohnen und Arbeiten an der Friedensallee gelingen sollte: Einfach wird das Nebeneinander sicher nicht. "Wir sind nun einmal laut", sagt Kfz-Mechaniker Thomas Steinke, der einen Sportwagenservice betreibt und manchmal mit knatterndem Motor zu Testzwecken über das Areal braust.

Die Hoffnung hat aber auch er nicht aufgegeben. Über der alten Produktionshalle, in der Steinke heute Alfa Romeos und andere italienische Flitzer repariert, hängt eine alte Werksuhr, deren Zeiger auf viertel vor zwölf stehen geblieben sind. "Noch ist es für uns nicht zu spät", sagt er.