Beschluss des Oberlandesgerichts Celle sorgt für Bestürzung. Der Sechsjährige muss im Heim bleiben - gegen seinen eigenen Wunsch. Pflegeeltern: “Wir sind über den Beschluss total entsetzt.“

Hamburg. Das Justizdrama um das Hamburger Pflegekind Dennis hat ein Ende gefunden, allerdings keinen guten Ausgang: Nach einem Beschluss des Oberlandesgerichts (OLG) Celle soll der sechsjährige Junge im Heim bleiben - und nicht zu seinen Pflegeeltern zurückkehren.

"Wir sind über den Beschluss total entsetzt", sagten Anna und Peter Schneider (Namen geändert). "Wieder ist Dennis vor Gericht angehört worden und hat sich klar geäußert, dass er zu uns zurückwill und bei seinen Pflegeeltern wohnen möchte. Doch wie schon bei der Befragung des Gerichts vor Weihnachten findet sein Wunsch kein Gehör."

In der Tat heißt es in dem OLG-Beschluss: "Dennis äußerte zwar in der Kindesanhörung vor dem Senat auf die direkte Frage, wo er wohnen wolle, dass er zurück zu Mama und Papa wolle. Er äußerte dies jedoch ohne großen Nachdruck."

Rückblick: Als das Abendblatt im Juni 2012 erstmals über den Fall berichtete, waren die Leser entsetzt und wütend über die Herausnahme des damals Fünfjährigen aus seiner Pflegefamilie durch das Jugendamt in Winsen/Luhe und die Unterbringung von Dennis in einem Heim. Sie waren fassungslos über das Handeln eines Richters am Amtsgericht Winsen, der die Pflegeeltern immer wieder zur Zahlung von Strafgeldern bis zu 750 Euro pro Person verurteilt hatte. Damit wollte er die Besuchskontakte von Dennis zu seinem leiblichen Vater und seiner Großmutter durchsetzen. Auf diese hatte der Junge regelmäßig mit massiven Essstörungen und Erbrechen reagiert. Und deshalb verweigerte das Ehepaar Schneider irgendwann die sogenannten unbegleiteten Umgänge mit Rücksicht auf Dennis' Gesundheit.

Im Februar 2011 hatte der vom Bundesgesundheitsministerium anerkannte Fachmann Professor Ludwig Spohr von der Berliner Charité bei Dennis ein fetales Alkoholsyndrom durch mütterlichen Drogen- und Alkoholkonsum während der Schwangerschaft diagnostiziert. Als der Richter Dennis' Amtsvormund vom Jugendamt Winsen ebenfalls ein Ordnungsgeld androhte, falls dieser seine Beschlüsse nicht umsetze, verloren die Schneiders auch die Unterstützung der staatlichen Stelle. Es begann ein Machtkampf, ausgetragen auf dem Rücken eines kleinen Kindes. Im Sommer 2011 stellte das Jugendamt für Dennis einen Herausnahmeantrag aus der Pflegefamilie. Acht Monate später waren die Schneiders finanziell und mit ihren Kräften am Ende. Sie baten das Jugendamt im Mai 2012, Dennis abzuholen, um ihm weitere seelische Qualen zu ersparen. Eine Entscheidung, die sie wenig später bitter bereuten.

Politiker wie Niedersachsens damaliger Justizminister Bernd Busemann (CDU) oder seine Kollegin Aygül Özkan (CDU) aus dem Sozialministerium setzten sich für eine Lösung zum Wohl des Kindes ein. In Winsen demonstrierten die Menschen zweimal vorm Jugendamt für die Rückkehr von Dennis zu seinen Pflegeeltern. Sie ließen Hunderte Luftballons in den Himmel steigen. Alle Appelle verhallten.

"Das Gericht hat sich sehr viel Mühe gegeben", sagt Peter Hoffmann, Rechtsanwalt der Schneiders. Aber die Bedenken des Gerichts bezüglich der Erziehungsfähigkeit der Pflegeeltern seien wohl größer gewesen als der Wunsch des Kindes, in seine Familie zurückkehren zu dürfen.

Das Gericht hatte abzuwägen zwischen zwei Alternativen: die Rückkehr von Dennis zu den Pflegeeltern oder der Verbleib im Heim. Wo liegen die größeren Risiken, wo die besseren Chancen für das Kindeswohl? Für die Rückkehr zu den Schneiders sprach laut Gericht die Chance für Dennis, "in der Geborgenheit eines Familienverbundes bei seinen sozialen Eltern, seinen primären Bindungspersonen, die ihn lieben und die er liebt, aufzuwachsen". Für einen Verbleib im Heim spreche, "dass er seine drei Ressourcen - Pflegefamilie, Herkunftsfamilie und Heimeinrichtung - behalten könne". Käme er zu den Schneiders zurück, "würde die Ressource Heim wegfallen, und die Ressource Herkunftsfamilie wäre gefährdet".

Mit anderen Worten: Es drohe das Aufbrechen neuer Konflikte, die im Moment offenbar nicht auftauchen, da Dennis einmal in der Woche sowohl von den Pflegeeltern als auch von der leiblichen Großmutter besucht wird "und sich über beide Kontakte freut".

Peter Hoffmann sagt, nach seinem Eindruck habe die Entscheidung des Gerichts "auf der Kippe gestanden". Der Richter sei wohl letztlich der Einschätzung der Gutachterin gefolgt. Die Sachverständige hatte den Pflegeeltern zwar attestiert, sie seien die "primären Bindungspersonen" von Dennis, sie hätten ihm orientierende Werte vermittelt und ihn optimal gefördert durch differenzierte Ansprache, liebevolle Zuwendung und altersgemäße Freizeitaktivitäten. Allerdings seien sie überbesorgt, überfordert und litten unter Verlustängsten.

Die Gutachterin, die zweimal zwei Stunden mit den Schneiders gesprochen hat, kommt zu dem Schluss, dass Dennis zwar eine Bindung zu den Pflegeeltern aufgebaut habe, diese sei jedoch nicht "als eine sichere, Halt gebende, Lebenswurzeln schaffende Bindung zu interpretieren". Das Gericht ist diesen Ausführungen gefolgt.

Peter Hoffmann sagt, selbst wenn man dieser Einschätzung folge, sei eine unsichere Bindung doch immer noch besser als gar keine. Und er findet, dass das Gericht den Aspekt, warum es zu dieser Unsicherheit gekommen sei, viel zu wenig berücksichtigt habe.

Wo war die Unterstützung des Jugendamts für die Pflegeeltern etwa bei den Essstörungen von Dennis? "Das Jugendamt hat in vier Jahren nur einen einzigen Hausbesuch bei uns gemacht", sagen die Schneiders. Der Amtsvormund habe sie nur zweimal in vier Jahren besucht.

Das mag auch daran gelegen haben, dass bei den Schneiders jahrelang alles vorbildlich gelaufen ist. "Sie geben Dennis die Möglichkeit eines Aufwachsens in einem sicheren Rahmen und haben zu ihm oder mit ihm die enge Bindung hergestellt, die für ein gesundes Aufwachsen so wichtig ist", heißt es in einer Beurteilung des Allgemeinen Sozialen Dienstes Hamburg aus dem April 2009. "Es wird immer wieder deutlich, dass Sie sich liebevoll und fürsorglich um Dennis kümmern und er bei Ihnen gut aufgehoben ist."