Im Justizdrama appelliert Michael Grosse-Brömer, parlamentarischer Geschäftsführer der Unionsfraktion, an die Beteiligten.

Hamburg/Winsen. Erneut hat sich ein hochrangiger Politiker für eine schnelle Lösung im Fall des Hamburger Pflegekindes Dennis eingesetzt. "Mir ist der Fall und dessen tragischer Verlauf aus meinem Wahlkreis bekannt", sagte Michael Grosse-Brömer, Erster Parlamentarischer Geschäftsführer der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und einer der wichtigsten Manager der Bundeskanzlerin Angela Merkel, gestern dem Abendblatt. "Ohne mich in ein laufendes Verfahren einzumischen, ist es natürlich mein Wunsch, dass sich alle Beteiligten zusammenfinden, um möglichst schnell eine Lösung zum Wohle des Kindes zu finden."

Auch die zuständigen CDU-Minister in Niedersachsen, Özkan (Soziales) und Busemann (Justiz), hatten für eine schnelle Aussprache aller Beteiligten plädiert. "Es ist schön, dass sich Aygül Özkan und Bernd Busemann ebenfalls für eine solche Lösung einsetzen", sagte Michael Grosse-Brömer.

Wird es die noch geben? Seit nunmehr fünf Wochen ist Dennis, der mit vier Monaten aus einem Kinderschutzhaus in Hamburg zu seinen Pflegeeltern nach Winsen gekommen ist, in einem Heim untergebracht. Damit hat der Fünfjährige seine wichtigsten Bezugspersonen verloren.

Zermürbt und finanziell ruiniert durch jahrelange juristische Auseinandersetzungen um die Besuchskontakte mit dem leiblichen Vater und der Großmutter hatten Anna und Peter Schneider (alle Namen geändert) den Kampf im Mai aufgegeben. Sie baten das Jugendamt, Dennis abzuholen, um ihm weitere seelische Qualen zu ersparen. Ein "Akt der Verzweiflung", den sie mittlerweile bereuen.

Um unbegleitete Umgänge mit der Herkunftsfamilie durchzusetzen, hatte der Richter in Winsen die Pflegeeltern regelmäßig mit hohen Ordnungsgeldern bestraft. Aus Rücksicht auf die Gesundheit von Dennis, der auf die Besuchskontakte in Hamburg mit massiven Essstörungen reagierte, hatten die Schneiders die Treffen verweigert.

Ein furchtbares Dilemma. Auf der Strecke geblieben ist ein Kind, das schuldlos in die Mühlen der Justiz geraten ist. In den Blickpunkt im Fall Dennis gerät zunehmend der Verfahrensbeistand des Jungen, also der Interessenvertreter des Kindes vor Gericht. "Bei der Einführung dieser neuen Rechtsfigur im Jahre 1998 ging es darum, dem Kind jemanden an die Seite zu stellen, der sich ausschließlich auf das Kind und seine Interessen konzentriert, was gerade die anderen nicht können oder nicht dürfen", sagt Professor Ludwig Salgo, Berater und Gutachter der Bundesregierung, der an der Gesetzgebung zum "Anwalt des Kindes" mitgearbeitet und ein Handbuch zum Verfahrensbeistand herausgegeben hat.

Nach einem Hausbesuch bei den Schneiders im Sommer 2010 hatte sich die Verfahrenspflegerin dafür ausgesprochen, dass Dennis "mindestens ein Jahr" lang nur begleiteten Umgang mit seinem Vater haben sollte. "Auf keinen Fall sollte dem Kind noch zugemutet werden, die Großmutter besuchen zu müssen ohne eine entsprechende Begleitung", schrieb sie. In einer Presseerklärung des Landgerichts Lüneburg vom 14. Juni 2012 zum Fall Dennis heißt es zur Verfahrenspflegerin: "... im weiteren Verlauf ist sie dann jedoch immer zweifelnder geworden und hat zuletzt das Verhalten der Pflegeeltern als für das Kind schädlich beanstandet."

Wie ist es zu diesem gravierenden Meinungswandel gekommen?

Eine Frage, die sich auch Anna und Peter Schneider stellen. Zumal sie sagen, dass es nach dem Hausbesuch keinen Kontakt mehr mit der Verfahrenspflegerin gegeben habe. "Sie hat uns nie wieder besucht oder mit uns gesprochen", sagt Peter Schneider, "soweit wir wissen, mit Dennis auch nicht."

Für Salgo ist das unverzichtbar. "Die Aufgaben der Verfahrensbeistände sind herausfordernd, dazu gehört auch die fortlaufende Kommunikation mit dem Kind und seinen engsten Bezugspersonen sowie die Vorbereitung und Begleitung des Kindes zu den familienrichterlichen Anhörungen." Natürlich könne es zu einem Meinungswandel kommen. "Dass sich vorläufige Einschätzungen aufgrund neuer Erkenntnisse verändern, ist ja Sinn und Zweck des Verfahrens", sagt Salgo. "Dann müssen aber das Gericht wie die Verfahrensbeiständin transparent machen, worauf der Meinungswandel beruht." Gerade bei Verfahren, die längere Zeit brauchen, müsse eine Verfahrensbeiständin erneut und wiederholt sich aufgrund von Kontakten mit dem Kind ein neues Bild machen und die gewonnenen Eindrücke dem Gericht vermitteln. Salgo: "Schriftliche Stellungnahmen der Verfahrensbeiständin sind in einem solchen komplexen Fall zwingend."

Ob es die in diesem Fall gegeben hat, wird noch zu klären sein. Zweifel sind angebracht, wenn im Protokoll der Gerichtsverhandlung vom 11. Januar 2012 explizit festgehalten wird, dass die Anwältin der Pflegeeltern nach dem schriftlichen Bericht des Verfahrensbeistands fragte. "Sie wurde darauf hingewiesen", heißt es, "dass es keinen schriftlichen Bericht in der Akte gibt." Keine Kontakte mit Dennis, keine schriftlichen Berichte, kein Hinweis oder Rat an die Pflegeeltern und nun die Beanstandung des "schädlichen Verhaltens der Pflegeeltern" - kann das sein? "Fatal wäre es, und es könnten Zweifel an der Unabhängigkeit der Verfahrensbeiständin aufkommen lassen, wenn ein Meinungswandel nicht aufgrund von neuer Erkenntnis, sondern auf Druck von wem auch immer entstanden ist", sagt Professor Salgo.

Im April 2011 hatte die Anwältin der Schneiders moniert, dass sich die Verfahrenspflegerin "nach einem einmaligen Bericht weder beim Kind gemeldet hat", noch habe sie "an der Kindesanhörung bei dem mit der Sache betrauten Richter oder an dem Gerichtstermin teilgenommen, der zur Entscheidungsfindung über die Übergangsregelung geführt hat". Das Gericht habe die Einlassungen der Verfahrenspflegerin nicht beachtet. "Dieses konnte mit solcher Leichtigkeit geschehen, weil die Verfahrenspflegerin und der Richter, wie diese leichtfertig offenbarte, sich so gut kennen, dass sie sich auch duzen."