Abendblatt-Volontär Marco Thielcke im Schlafsacklager der Stadtteilschule Harburg. Acht Zimmergenossen hatte er. In insgesamt 180 Schulen schlafen rund 38.000 Besucher während des Kirchentags.

Harburg. "So eine Funkklingel ist schon praktisch", sagt Hermann Strassberger, einer von rund 160 Quartiermeistern des Evangelischen Kirchentages. Denn die klingelt immer, wenn ein Besucher an Strassbergers Tür "klopft". Als ich in der Stadtteilschule Harburg an der Julius-Ludowieg-Straße ankomme, ist diese schon längst für den Kirchentag zum Gemeinschaftsquartier umfunktioniert worden. In insgesamt 180 Schulen schlafen rund 38.000 Besucher während des Kirchentags - in dieser Nacht bin ich einer von ihnen.

Hermann Strassberger ist also mein Quartiermeister und schon bei der Begrüßung merke ich: Besser hätte ich es nicht antreffen können. Gerade richtet der Mann nämlich den Beamer ein, der das Champions-Leauge-Halbfinale an die Wand werfen soll. Perfekt.

Bei der Anmeldung erhalte ich, wie jeder Gast, einen Quartierausweis und werde einem Klassenraum zugewiesen, den ich mir mit einer jungen Gruppe aus Oberbayern teile. Mit dem Anpfiff der zweiten Halbzeit meldet sich die Funkklingel immer häufiger. Nach und nach kehren meine insgesamt 163 Nachbarn in der Unterkunft zurück und kuscheln sich in ihre Schlafsäcke. Nachdem sie den Eröffnungsgottesdienst erlebt haben, sind die meisten noch beim Abend der Begegnung in der HafenCity gewesen. Simon, 13, einer meiner Mitbewohner, hatte dort seine Gruppe aus Erding bei München aus den Augen verloren. Und dann streikte auch noch sein Handy. Doch Simon fragte sich durch und kam wieder sicher in Harburg an.

Simon uns seine Schwester Lilli, 15, sind zwei meiner acht Zimmergenossen. Das Pfarrerpaar Karen Jordack und Gerhard Körbe aus Würzburg besucht mit ihnen den Kirchentag. Die beiden Franken sind quasi alte Hasen - sie wissen schon gar nicht mehr, auf wie vielen Kirchentagen sie insgesamt gewesen sind. Wir allen liegen in unseren Schlafsäcken in dem Klassenraum der 4a. Einige haben sich Luftmatratzen mitgebracht, ich schlafe auf einer Isomatte.

Nach dem Fußballspiel wird es ruhiger im Quartier. Während mich Pfarrer Gerhard Körber schnarchend in den Schlaf begleitet, beginnt die Nachtschicht von Michael Stüper. "Bis 1 Uhr waren alle in den Zimmern", erzählt mir der stellvertretende Schulleiter am nächsten Tag. Der 43-jährige Mathematiklehrer war die ganze Nach wach, hatte die ganze Nacht Klassenarbeiten seiner Schüler kontrolliert.

Viele der Gäste sind erschöpft, aber auch beeindruckt vom ersten Kirchentag. Ulla Rinio aus Bochum war ergriffen von dem Gefühl, gemeinsam mit Tausenden Menschen zu singen. Am nächsten Morgen verrät sie mir beim Frühstück noch, warum Dortmund am 25. Mai in Wembley gegen den FC Bayern im Vorteil ist. "Das liegt an den Fans. Wir sind wie eine Familie und halten immer zusammen", sagt Ulla. Dieses Gefühl habe sie auch auf dem Kirchentag. Meine Mitbewohner erzählen mir, wie schön es sei, unter so vielen Gleichgesinnten zu sein. Auch Jutta Rusche sitzt am Tisch und plant bereits das Tagesprogramm. Auch ich habe bei der Anmeldung ein Programmbuch bekommen, mit dem ich mir aus 2500 Veranstaltungen meinen persönlichen Kirchentag zusammenstellen könnte.

Ferdinand Hermann, 29, zum Beispiel erzählt mir bei einem Kaffee, dass er den Tag um 11.30 Uhr "mit Headbanging und Moshen in einem Circlepit" beginnen will. Ich verstehe nicht, was er meint, es hört sich aber nicht nach einer typischen Kirchentags-Veranstaltung an. Doch was ist schon typisch - das Programm ist so vielseitig wie die Menschen in der Cafeteria an diesem Morgen. Offensichtlich hat der 29-jährige Kirchenbeamte aus Dießen-Utting am Ammersee besser und wesentlich länger geschlafen als ich. Nach Heavy Metal ist mir am Morgen jedenfalls nicht.

Ich bleibe da und lerne Christiane Wiki kennen. Wiki ist eine von fünf Helferinnen, die das Frühstück für die Bewohner vorbereiten. Es gibt Biokäse, Biowurst und Biomilch, das Frühstück ist "fairtrade" und kommt aus der Region. Gegessen wird an großen Tischen. Dabei werden Pläne geschmiedet. Und während mir Ulla am Tisch noch von ihrem BVB erzählt, organisiert Strassberger schon den nächsten Tag.

Der 46-Jährige überprüft den Bestand in der Küche und macht Bestellungen für den nächsten Tag. Kurz nach neun Uhr kontrolliert er ein letztes Mal die Flure und Klassenräume bevor er die Schule abschließt. Bis am Abend wieder die Funkklingel geht.