NSU-Prozess: Das verantwortliche Gericht hat die Rolle der Medien nicht verstanden

Manchmal, nein: leider viel zu oft, könnte man den Eindruck bekommen, der anstehende NSU-Prozess sei irgendein Gerichtsverfahren, wie es sie in Deutschland jede Woche gibt. So seltsam muten die Vorbereitungen an, so lächerlich wirkt das Losverfahren, mit dem im zweiten Versuch die Plätze für die Medien vergeben wurden. Nichts gegen Radio Lotte Weimar, den Bürgersender aus der Stadt von Schiller und Goethe, nichts gegen "Hallo München", die lokale Wochenzeitung mit Webauftritt - aber dass sie im Gerichtssaal dabei sein dürfen, während sich Medien wie "Die Zeit" oder die "Frankfurter Allgemeine Zeitung", um nur zwei zu nennen, mit dem begnügen müssen, was die Nachrichtenagenturen liefern, ist nicht zu verstehen. Mag sein, dass es zu einem Losverfahren keine Alternative mehr gab, nachdem man leider vergessen hatte, Plätze für türkische Medien freizuhalten. Aber vielleicht hätte man dann beim Zusammenstellen der Losblöcke etwas klüger vorgehen können. Etwa wie die Sportverbände, die bei zahlreichen ihrer Wettbewerbe auch darauf achten, dass die besten Mannschaften oder Spieler nicht gleich in der ersten Runde aufeinandertreffen. Sie berücksichtigen den Stellenwert und das Leistungsvermögen einzelner Sportler, beim NSU-Prozess ist das leider nicht entsprechend für die und mit den Medien gemacht worden.

Nicht dass wir uns falsch verstanden: Natürlich geht es in diesem Verfahren ausschließlich darum, den Opfern, beziehungsweise ihren Angehörigen, Gerechtigkeit widerfahren zu lassen und eine Verbrechensserie aufzuklären, die Deutschland aus verschiedenen Gründen weltweit denkbar negative Schlagzeilen gebracht hat. Es ist zehnmal wichtiger, dass die betroffenen Familien dem Prozess beiwohnen können als bestimmte Zeitungen, Zeitschriften oder Fernsehsender.

Und dennoch spielen die Medien gerade im Verfahren um die NSU-Morde eine wichtige Rolle, sollten die Journalisten im Gerichtssaal sein, die sich mit solchen Verhandlungen, die sich mit Terror, mit dem Verfassungsschutz und mit Extremismus am besten auskennen. Nach München kann und sollte ein Medium eben nicht irgendeinen Reporter oder irgendeine Reporterin schicken. Dorthin gehören die, die sich seit Wochen und Monaten ausführlich mit dem Fall beschäftigt haben, die sich in Akten eingelesen, mit Ermittlern und Beteiligten gesprochen haben. Selbst die dürften es nicht leicht haben, den Prozess in all seinen Einzelheiten und Entscheidungen jederzeit angemessen zu bewerten. Alle anderen drohen aber von Anfang an zu scheitern - und damit Teile der sogenannten vierten Gewalt.

Dass sich das zuständige Gericht öffentlich über das Interesse der Medien an der Vergabe der Plätze beklagt, übrigens in einer bemerkenswert eingeschnappten Weise, zeigt leider, dass es die Rolle der Journalisten nicht verstanden hat. Deren Auftrag ist es schließlich, jenen drei offiziellen Gewalten, zu denen die Gerichtsbarkeit gehört, ganz genau auf die Finger zu gucken. Was schwierig ist, wenn man weder der entsprechenden Verhandlung noch wenigstens einer Videoübertragung beiwohnen kann. Sich auf sekundäre Quellen zu verlassen war und ist im wahrsten Sinne des Wortes immer die zweitbeste Lösung, in diesem Fall ist es ehrlich gesagt keine.

Man könnte sich noch über eine Radio-Bewerbung ärgern, die im Loskasten für Fernsehsender gelandet ist, oder über Bewerbungen, die gezogen wurden, obwohl sie eigentlich zurückgezogen worden waren. Man kann sich darüber wundern, dass eine Frauenzeitung nun einem Nachrichtenmagazin ihres Verlags bei der Berichterstattung helfen will oder über die "Süddeutsche Zeitung", die nur dank ihres "Magazins" in den Gerichtssaal kommt. Aber wahrscheinlich ist es jetzt wichtiger herauszufinden, ob und wie man Radio Lotte Weimar über das Internet empfangen kann...