Einfach losgehen, mit Stiefeln und Rucksack. Und ohne Schminke. Christel Willers lacht. „Dass ich das wirklich mache, hat mir niemand geglaubt“, sagt die 62-Jährige. Aber sie hat es gemacht. Sie hat ihren kompletten Jahresurlaub genommen, ein Busticket nach Spanien gebucht und ist losgefahren. Allein. „Das Einzige, was ich hatte, war das Rückflugticket von Santiago sechs Wochen später.“ Dazwischen lagen 780 Kilometer auf dem Jakobsweg, der bekannten Pilgerstrecke. „Am Anfang habe ich immer nur gedacht, hoffentlich merken die anderen nicht, wie ich zu Religion und Kirche stehe“, erinnert sie sich. Aber das habe sich schnell geändert, mit jedem Kilometer. „Man wird auf sich zurückgeworfen, es gibt keine Ablenkung. In dieser Stille konnte ich Gott begegnen.“

Das ist so ein Satz, einfach und ganz klar. Dass sie das sagen kann, sei für sie die größte Veränderung. „Das hätte ich früher nie gemacht. Ich war immer sehr verschlossen in persönlichen Dingen, habe alles für mich allein abgemacht.“ Früher, das war bis vor fünf Jahren. Wenn Christel Willers von dieser Zeit erzählt, ist viel von rabiaten Wechseln die Rede. Mit 19 Jahren verheiratet und Mutter einer Tochter hat sie sich zweimal aus langjährigen Beziehungen gelöst, ist aus gemeinsam erarbeiteten Häusern ausgezogen. „Ich habe es nicht ausgehalten, nach dem klassischen Frauenbild zu leben, und ich war verzweifelt deshalb. Alle anderen haben es doch auch geschafft.“ Barmbek, Bergedorf, Neuengamme, Wentorf, Bergedorf, Börnsen, Lohbrügge, zum Schluss Barsbüttel – insgesamt neunmal zog sie um. Immer wieder wechselte sie auch die Arbeitsbereiche in ihrem Job bei der Stadt. „Trotzdem hat es nichts genützt, die Leere in meinem Leben blieb.“

Mit dem Aufbruch auf den Pilgerweg sei sie ihrer inneren Stimme gefolgt. Morgens losgehen, sich keine Sorgen machen, vertrauen, dass es gut wird – das habe sie gelernt. Die Hamburgerin pilgert seitdem jedes Jahr, 2500 Kilometer ist sie schon gelaufen. Sie arbeitet ehrenamtlich im Pilgerbüro an St. Jacobi, hat eine Ausbildung als Pilgerbegleiterin gemacht „und ein Gefühl von Freiheit erlebt, was ich nicht kannte“. Das gilt nicht mehr nur dafür, ob sie abends eine Herberge findet oder Menschen, mit denen sie das Essen teilen kann. „In mir sind Vertrauen und Zuversicht gewachsen. Ich glaube, dass es etwas gibt, was mich lenkt und steuert. Und ich weiß, dass für mich gesorgt ist.“ Inzwischen ist sie noch einmal umgezogen, in eine bescheidenere Wohnung. Fürs Alter kann sie sich eine Wohngemeinschaft mit anderen Pilgern vorstellen. „Aber wer weiß, was mir auf dem Weg noch alles begegnet.“