Erderwärmung

Klimaforscher verärgert: "Vieles klingt nach Hollywood"

| Lesedauer: 12 Minuten
Jens Meyer-Wellmann

Der Hamburger Klimaforscher Hans von Storch wirft seinen Kollegen in der Debatte um die Erderwärmung Panikmache und einen Hang zum "Schamanentum" vor. Im Interview zeigt er die Fehler der Diskussion auf.

Hamburg. Den Klimakatastrophenfilm "The day after tomorrow" über ein schockgefrorenes New York hält er für "idiotisch" und schlecht erzählt. Aber auch seinen Fachkollegen wirft der Hamburger Klimaforscher Hans von Storch vor, mit "peppigen Aussagen" zur Hysterisierung der Debatte über die Erderwärmung beizutragen. In seinem neuen Buch "Die Klimafalle" fordert von Storch mehr Distanz zwischen Wissenschaft und Politik. Im Interview zeigt er die Fehler der Diskussion auf, sagt, wie wir uns auf den Klimawandel einstellen können und kritisiert das jüngste Gutachten zur Elbvertiefung.

Hamburger Abendblatt: Herr von Storch, seit 15 Jahren erwärmt sich die Erde nicht mehr. Die Winter werden eher strenger. War das mit der Klimakatastrophe ein Irrtum?

Hans von Storch: Alles deutet darauf hin, dass sich die Erde durch die Zunahme von CO2 und anderen Treibhausgasen erwärmt. Daran ändern ein kalter März und das aktuelle Stagnieren des Temperaturanstiegs nichts. Ein Irrtum besteht also nicht in der Grundannahme. Wohl aber darin, dass in der Debatte mit Untergangsszenarien gearbeitet wird - und mit dem Begriff der Katastrophe.

Wir müssen also nach dem Scheitern der jüngsten Klimagipfel nicht mit dem Weltuntergang rechnen?

von Storch: Nein. Das Klima wird sich verändern, und wir müssen uns auf den Wandel einstellen, den wir nicht vermeiden können. Das bedeutet aber nicht das Ende der Menschheit. Die Klimapolitik hat sich mit solchen Untergangsszenarien selbst in eine Sackgasse manövriert. Und die Wissenschaft ist daran mit schuld. Es wird so getan, als gebe es nur eine einzige Lösung für das Problem, nämlich die Begrenzung der Erderwärmung auf zwei Grad. Wenn wir das nicht hinkriegen, dann ist es aus mit uns, wird suggeriert. Dabei zeigt sich längst, dass wir dieses Ziel gar nicht mehr erreichen können.

Heißt das, wir können unsere Bemühungen zur Reduktion von Treibhausgasen auch gleich einstellen?

von Storch: Nein. Vielmehr sollten wir uns anstrengen, die Emissionen deutlich zu reduzieren - gerade auch durch technologische Innovationen, die sich aufgrund wirtschaftlicher Attraktivität überall auf der Welt durchsetzen und so einen signifikanten Beitrag leisten. Die Hinweise auf ein vorbildliches Verzichten der "Hamburger" oder auf die Katastrophe jenseits der zwei Grad bringen kaum etwas.

Ist es nicht vor allem die Wissenschaft, die ständig öffentlich den Untergang prophezeit, und die Politik auf diese Weise vor sich hertreibt?

von Storch: Es gibt leider in der Klimaforschung die Tendenz, absolute Wahrheiten zu verkünden und diese gleich mit Handlungsanweisungen zu verknüpfen. Der Klimapapst sagt, was zu tun ist, und für die Bürger gilt: Maul halten. Wissenschaftler nehmen mittlerweile die Rolle von Schamanen oder Priestern ein. Das ist nicht die Aufgabe von Wissenschaft. Wissenschaft soll helfen, Probleme zu verstehen. Und Möglichkeiten zeigen, damit umzugehen, am besten viele Möglichkeiten. Danach muss der politische Prozess entscheiden, welchen Weg wir nehmen.

Aber gibt es hier überhaupt unterschiedliche Möglichkeiten? Es heißt doch, wenn das Klima einmal kippt, ist das nicht mehr rückholbar.

von Storch: Natürlich kann eine Erwärmung nicht kurzfristig und ohne Weiteres rückgängig gemacht werden. Aber das bedeutet nicht, dass man von einem angenehmen "Normal" zu einem katastrophalen anderen "Normal" kippt. Der Fehler einiger Kollegen ist: Sie verwenden gerne Storys, die hin zur Katastrophe weisen. Ein gängiges Beispiel ist die Annahme, wir würden in unserer Region mörderisch heftige Stürme bekommen. Dafür gibt es aber überhaupt keine Hinweise.

Und wie kommt man dann zu solchen Behauptungen?

von Storch: Manchmal liegt das an Verkürzungen. Komplexe Aussagen werden in Kurzform gebracht und dann in den Medien weiter verkürzt. Aber das Ganze hat auch einen kulturellen Hintergrund. Wenn man sündigt, wird man bestraft. Und die Strafe hat auch immer eine Umweltdimension, da gehörten früher auch schon Stürme dazu. Früher ging es um Gottes Strafe, heute um eine Strafe der Natur. Die Natur soll den Menschen im Zaum halten. Und dazu sehen wir dann idiotische Filme wie "The day after tomorrow".

Was wir für aufgeklärte Wissenschaft halten, ist in Wahrheit Ausgeburt einer pseudoreligiösen Welterklärung?

von Storch: Zumindest spielen anthropologische und kulturelle Aspekte eine größere Rolle als vielen bewusst ist. Und natürlich wird die Katastrophenstory mehr gehört als abgewogene Aussagen der Wissenschaft, in denen wir einräumen, dass unsere Aussagen auch nicht hundertprozentig sicher sind. So kommt es dazu, dass einige Lautsprecher die öffentliche Debatte bestimmen - und dabei bisweilen den Ruf der Wissenschaft beschädigen.

Haben Sie ein Beispiel?

von Storch: Ein Kollege hat nicht sehr vorsichtig formuliert und wird seitdem zitiert: Wir werden keinen Schnee mehr haben. Er wird wohl auch gesagt haben, ab wann das gelten könnte und so weiter. Aber in der medialen Darstellung wurde daraus: ab morgen kein Schnee mehr.

Und dann schneit es im März, und damit ist die These von der Klimaerwärmung für die Leute widerlegt.

von Storch: Ja, genau. Weil er in dem Moment, als seine Aussage mediale Karriere machte, nicht korrigierend eingegriffen hat. Das führt dazu, dass wir die Ressource, die wir haben, nämlich das Vertrauen der Öffentlichkeit, aufbrauchen. Ein solches Verhalten nennt man "nicht nachhaltiges Wirtschaften". Wenn wir das Vertrauen verjubeln, indem wir peppige Aussagen machen, ruinieren wir unsere eigene Ressource. Das ist schlimm, weil es das Problem Klimaerwärmung ja gibt.

Was treibt manche Ihrer Kollegen zu so einem Verhalten?

von Storch: Der eine oder andere glaubt wohl, er rettet die Welt. Hier und da geht es natürlich auch um wissenschaftliche Karrieren. Außerdem kann der Kontakt zu den Medien auch süchtig machen.

Auch Sie glauben ja an die Grundthese der Klimaerwärmung. Was blüht uns, und was müssen wir tun?

von Storch: Ich bin überzeugt von der Erwärmungsthese. Ich glaube, dass es sich nicht um eine bloß periodische Erwärmung handelt. Ich sage aber nicht, dass die Klimaerwärmung das wichtigste Problem der Menschheit ist. Das muss man politisch bewerten. Manch einer wird sagen, dass die Armut auf der Südhalbkugel ein größeres Problem ist.

Wobei Klimawandel und Armut sich ja angeblich bedingen.

von Storch: Das wird von manchen sehr merkwürdig zurechtkonstruiert. Die sagen dann: Weil wir den Klimawandel bekämpfen, überwinden wir die Armut. Da sage ich: Nö. Stimmt nicht.

Wie schnell ändert sich das Klima?

von Storch: In den kommenden zehn Jahren wird sich wahrnehmbar kaum etwas verändern. Wir werden ab und an Schnee haben. Die Bewegung hin zu wärmeren Bedingungen wird sich im Laufe des Jahrhunderts aber deutlicher zeigen. Wir gehen zurzeit in unserem Institut davon aus, dass Hamburg für die Zeit um 2030 mit höchstens 30 Zentimetern höheren Pegelständen zu rechnen hat. Danach kann sich die Entwicklung beschleunigen. Darauf müssen wir uns einstellen. Wir müssen den Küstenschutz in Ordnung halten. Und es ist klug, so zu bauen, dass wir noch einen Meter oben drauflegen können. Die Abwassersysteme werden stärker mit Starkregen konfrontiert werden. Wir empfehlen, strategisch zu denken. Das heißt: Nicht sofort mit dem Spaten losrennen und neue Schutzanlagen bauen. Aber uns in die Lage versetzen, zu reagieren, sobald dies angezeigt ist.

Derzeit will Hamburg ja nicht mit dem Spaten, sondern mit dem Bagger loslegen. Stichwort Elbvertiefung. Welchen Einfluss hätte die Fahrrinnenanpassung in diesem Kontext?

von Storch: Keinen gravierenden. Die Salzwassergrenze wird sich wohl ein Stück weiter stromauf verschieben. Die Wirkung der jetzt avisierten Elbvertiefung ist aber insgesamt deutlich geringer als die der Vertiefungen, die wir in der Vergangenheit hatten. Zwischen 1962, der ersten Vertiefung, und 1980 hat sich die Differenz der Sturmfluthöhen zwischen Cuxhaven und Hamburg um 70 Zentimeter auf einen Meter erhöht. Seit 1980 ist es bei einem Meter geblieben. Das liegt daran, dass die Elbe zu einem Kanal umgebaut und die Fahrrinne vertieft worden ist. Eine Sturmflutwelle kommt deswegen besser und schneller durch.

Grüne und Naturschutzverbände warnen dennoch vor einem erneuten Eingriff. Verbuchen Sie das auch unter unvernünftiger Katastrophenlust?

von Storch: Nein, das will ich gar nicht sagen. Eine weitere Elbvertiefung kann durchaus negative Auswirkungen auf die Natur haben. Naturschützer haben deshalb legitime Gründe für ihre Sorgen. Denn sie haben ja ein Idealbild von der Elbe, das naturnäher ist. Das ist eine Art, wie man sich die Elbe denken kann - ein legitimes Ziel. Ich kann aber natürlich auch das Idealbild haben, dass die Elbe gerade auch die Lebensader des Hamburger Hafens ist. Da treffen zwei verschiedene Weltbilder aufeinander. Es steht mir nicht zu zu sagen: Dieses Bild ist besser als jenes. Was wir wollen oder wie wir negative Folgen einer Vertiefung oder einer Nichtvertiefung ausgleichen, das müssen wir gesellschaftlich aushandeln. Da geht es um Werte und Leitbilder. Deren Verhandlung ist nicht Sache der Wissenschaft, sondern Sache der Politik.

Nun gibt es gerade ein neues Gutachten. Danach droht bei einer weiteren Elbvertiefung ein Umkippen des Flusses. Ist das realistisch?

von Storch: Was ich da in der Presse lese, belustigt mich. Die Daten von den Wirkungen der letzten Elbvertiefungen zeigen, dass diese späteren Vertiefungen weniger Wirkung hatten. Wenn man nun behaupten will, es werde schlimm, muss man argumentieren: kleine zusätzliche Änderung, große Wirkung. Chaostheorie, also. Nur: Um festzustellen, dass man an so einem Kipppunkt ist, muss man das System sehr gut beschreiben können und Parameter sehr genau anpassen. Aber dies System ist hochdimensional und stochastisch, so dass die Bestimmung von solchen Kipppunkten praktisch unmöglich ist. Klingt nach Hollywood.

Nutzen manche Politiker Katastrophenszenarien für eigene Ambitionen?

von Storch: Zunächst versuchen manche Wissenschaftler mit der Autorität des weißen Kittels selbst Politik zu machen. Das ist natürlich eine Kompetenzüberschreitung. Denn ein Wissenschaftler versteht von einem Teilgebiet sehr viel, von anderen Dingen aber auch nicht mehr als andere. Umgekehrt ist es für manche Politiker sehr bequem zu sagen: "Diese Entscheidung hier ist gar nicht meine. Ich folge nur der Wissenschaft. Es gibt keine Alternative." Politiker, die so argumentieren, drücken sich vor der eigenen Verantwortung. Wir müssen zu einer belastbaren Rollenverteilung kommen. Wissenschaftler sollen Ergebnisse über Zusammenhänge und Wirkungen vorlegen. Und Politiker sollen Werte abwägen und entscheiden. Am besten, ohne ständig vom Weltuntergang zu reden.

"Die Klimafalle: Die gefährliche Nähe von Politik und Klimaforschung" von Hans von Storch und Werner Krauß. Carl Hanser Verlag. 248 Seiten. 19.90 Euro

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