In Europa wird der Widerstand gegen Reformen und Einsparungen größer

In Hamburg lässt sich derzeit der deutsche Niedergang hautnah erleben - zumindest der Logik des EU-Währungskommissars Olli Rehn zufolge. Der Streik bei der Lufthansa, der am Montag Fuhlsbüttel lahmlegte, lässt den finnischen Politiker aufatmen. Er erkennt darin ein Symptom für den Abstieg Deutschlands innerhalb der EU, sagte Rehn auf einer Konferenz in New York. Die Löhne sollten im Norden schneller steigen, sodass Südeuropa im Vergleich zu Ländern wie Deutschland ohne große Anstrengungen wieder wettbewerbsfähiger wird. Rehn nennt das "Rebalancieren".

Das klingt in der Theorie nach einem tollen Konzept, hält aber der Praxis kaum stand. Volkswirtschaft funktioniert nicht wie eine Sanduhr. Möglicherweise verbessern steigende Kosten bei der Lufthansa die Chancen der italienischen Fluglinie Alitalia oder der spanischen Iberia. Aber Europa endet nicht an den Grenzen des Euro-Raums. Wenn - um im Beispiel zu bleiben - die Deutschen teurer werden, frohlocken die Amerikaner, Araber oder Chinesen. Den Europäern hilft das wenig. Was für die Fluggesellschaften gilt, würden Brüsseler Politiker gern auf die ganze deutsche Wirtschaft ausweiten. Sie soll Marktanteile zugunsten der Konkurrenz im Süden abgeben, indem sie teurer wird. Die deutschen Gewerkschaften hören es mit Freuden - sie fordern Lohnzuschläge, die weit über allen Produktivitätszuwächsen liegen.

Rehns Aussagen passen ins Bild. Denn zugleich hat sich auch EU-Kommissionschef José Manuel Barroso zumindest missverständlich geäußert. Bei einer Diskussionsveranstaltung soll er gesagt haben, die Sparpolitik stoße "aufgrund fehlender gesellschaftlicher und politischer Unterstützung an ihre Grenzen". Flugs wurden diese Aussagen als Abkehr von der Sparpolitik aufgefasst. So verständlich auf den ersten Blick diese Einschätzung angesichts der Rezession und steigender Arbeitslosenzahlen im Süden auch sein mag, so irrig ist die Ableitung. Wer angesichts der überbordenden Schulden in Europa meint, man müsse nun mehr Geld ausgeben, gleicht einem Autofahrer, der auf den Abgrund zusteuert und als Konsequenz noch Gas gibt.

Die Äußerungen zeigen nicht nur ökonomische Lücken auf höchster Ebene, sondern auch, wie isoliert Deutschland in der Euro-Krise ist. Der Bundesregierung weht der Wind frontal ins Gesicht, der Druck steigt. Beim G20-Gipfel werden die anderen Staaten Deutschland zu mehr Ausgaben und mehr Hilfen drängen. Und in Europa sind immer weniger Staaten bereit, sich einem vermeintlichen "deutschen Diktat" zu beugen. Die alte merkelsche Losung droht nicht länger zu verfangen. Sie gab stets nur den Partnern Hilfszusagen, wenn diese als Gegenleistung Strukturreformen und Sparrunden zusicherten. Doch die harte Medizin Reform wirkt erst langfristig, kurzfristig hat sie die Leiden verschlimmert.

Mehrere Regierungen wie in Griechenland oder Italien hat die von Merkel geforderte Sparpolitik aus dem Amt gespült und Millionen Demonstranten auf die Straße getrieben. In Portugal stoppt das oberste Gericht Teile des Reformpakets. Das senkt die Bereitschaft im Süden, sich weiteren Sparprogrammen zu unterwerfen. Zudem ist das Drohpotenzial der Deutschen gesunken: Spätestens seit der Zypernrettung ist vielen europäischen Regierungen klar, dass die Bundesregierung jeden Staat in der Euro-Zone halten will. Wenn die Hilfen aber ohnehin fließen, warum sollte man dann, so die Logik, den dornenreichen und gefährlichen Weg der Reformen gehen? Muss man da noch sparen?

Europa wünscht derzeit, dass Deutschland Verantwortung übernimmt, mehr investiert und hilft, seine Wirtschaft zugleich aber schwächer wird. Wie so die Euro-Rettung gelingen soll, verstehen wohl nur die Starökonomen in Brüssel.