Immer mehr Deutsche trinken lieber Bierspezialitäten als industrielle Massenware. Nun will der Hamburger Hersteller mit Märzen- und Erntebier vom Craft-Beer-Trend profitieren.

Hamburg. Zehn Jahre schlummerte die kleine Brauanlage auf dem Gelände der Hamburger Holsten-Brauerei im Dornröschenschlaf. Stillgelegt und fast vergessen, weil das einst zu Testzwecken gebaute Sudhaus für die Massenproduktion von Holsten Pilsener oder Astra nicht mehr benötigt wurde. Doch seit einigen Wochen sind Mitarbeiter nun mit Hochdruck dabei, die alten Edelstahltanks, Maische- und Läuterbottiche zu überholen und wieder in Betrieb zu nehmen. Von Mai an will Braumeister Rüdiger Weck hier nämlich verschiedene saisonale Bierspezialitäten herstellen.

Ein sogenanntes Märzen-Bier soll den Anfang machen, danach folgen ein Sommerpils, ein Weizen, ein Erntebier und ein Bockbier für den Winter. "Das Märzen ist ein malzig-aromatisches Bier mit 5,5 Prozent Alkoholgehalt, einer kräftigen Bernsteinfarbe und milden Hopfennote", sagt Weck. Historisch stamme es aus der Zeit vor Erfindung der Kältemaschinen als ein hoher Alkoholgehalt der längeren Haltbarkeit diente. Im Frühjahr gebraut, sei es auch noch im Sommer trinkbar gewesen.

Ende kommender Woche will die Hamburger Brauerei, die zum dänischen Carlsberg-Konzern gehört, ihr Konzept für die neue Holsten Brauwelt im Detail vorstellen. Dass ausgerechnet ein Massenhersteller mit einem Jahresausstoß von 3,2 Millionen Hektolitern jetzt seine Liebe zu individuellen Bierspezialitäten entdeckt, hat einen einfachen Grund: Während die großen Produzenten schon seit Jahren unter dem abnehmenden Bierdurst der Deutschen zu leiden haben, erleben kleine Brauereien eine ungeahnte Renaissance. Überall im Land schießen neue Braustätten aus dem Boden, einstige Unternehmensberater versuchen sich als Selfmade-Brauer und einige Enthusiasten richten sogar in ihrer Garage eine Mini-Braustätte ein.

Aus den USA ist die sogenannte Craft-Beer-Bewegung in die Bierrepublik Deutschland geschwappt. Dort hatte schon im Jahr 1976 ein gewisser Jack McAuliffe mit der "New Albion Brewery" eine der ersten Gasthausbrauereien der Vereinigten Staaten aufgemacht, was gemeinhin als Beginn der Bewegung betrachtet wird, die sich der Wiederbelebung alter Biersorten und ungewöhnlicher Geschmacksrichtungen verschrieben hat.

In Hamburg hat sich die Ratsherrn-Brauerei im Schanzenviertel ganz diesem internationalen Trend verschrieben. Mit viel Liebe zu ungewöhnlichen Hopfensorten stellt hier Braumeister Thomas Kunst seit gut einem Jahr ein klassisches Pilsener, ein Rotbier und ein honigfarbenes Pale Ale her, dessen Geschmack an trockene Beeren und Zitrusfrüchte erinnert.

Die Anlage in den historischen Viehhallen des Hamburger Schlachthofs hat Experte Kunst ganz nach seinen individuellen Vorstellungen gestalten lassen. So kann er etwa in drei kleine Zylinder im Zentrum des Sudhauses gezielt verschiedene Hopfensorten während des Brauprozesses hinzufügen und so den Charakter des Bieres beeinflussen. Seinen "Braueraltar", nennt Kunst scherzhaft diese Einrichtung.

Die Hamburger schätzen so viel handwerkliche Braukunst. Vor einigen Wochen erst hat auf der Schanze das angrenzende Gasthaus Altes Mädchen eröffnet, von dem aus die Besucher die Ratsherrn-Brauer bei der Arbeit beobachten können. Darüber hinaus führt das Haus 60 Craft-Biere aus aller Welt. In Skandinavien, Südafrika, Italien und den USA waren die Inhaber unterwegs, um Lager, Helles, Indian Pale Ale, Kellerbier oder Porter zusammenzutragen. Wer bei so viel Auswahl und Maracuja- oder Mango-Noten den Überblick verliert, dem hilft ein Bier-Sommelier. "Wir platzen im Augenblick aus allen Nähten", sagt ein Mitarbeiter.

Auch Hamburgs Steakkönig Eugen Block hat sich vor einem Jahr einen Traum erfüllt und seine Gasthausbrauerei Blockbräu in den Landungsbrücken aufgemacht. Dort thront das Sudhaus mit seinen kupferfarbenen Kesseln direkt über dem Gastraum. Ausgeschenkt wird unter anderem selbst gebrautes Weizenbier, das durch die Einhaltung bestimmter Temperaturen beim Einmaischen einen leicht bananig-birnigen Geschmack erhält. Mehr als 400.000 Gäste kamen im vergangenen Jahr.

Für Holsten und den Carlsberg-Konzern scheint die eigene Mikrobrauerei allerdings vor allem ein Marketinginstrument zu sein, eine vollwertige Gasthausbrauerei ist sie nicht. Bierfans können die Brauwelt zwar besuchen, allerdings ist dies nur im Rahmen von Seminaren oder Besichtigungen des gesamten Unternehmens möglich. Beim kleinen Seminar mit dem Namen "Bierkenner" werden die Teilnehmer theoretisch in die Kunst des Bierbrauens eingeführt, das große Seminar "Bierexperte" bietet zudem die Möglichkeit, ein eigenes, persönliches Bier zu brauen. Die neuen Spezialitäten wie das Märzen-Bier werden nur während der Seminare und im Shop der Brauerei an der Holstenstraße verkauft. Ein Vertrieb über Gaststätten oder den Lebensmittelhandel ist vorerst nicht geplant.

Die Mengen, die auf diese Weise abgesetzt werden, dürften also kaum helfen, um den Absatz insgesamt anzukurbeln. Immerhin könnten die neuen Sorten aber zu einer Verbesserung des Images beitragen - vorausgesetzt, die Kunden nehmen es einem großen Hersteller ab, dass er sich wie ein Kleinstunternehmen darstellt.