Nach Brandbrief: 14 Schulleitern in Wilhelmsburg und auf der Veddel gehen Pläne von Senator Rabe nicht weit genug. “Das Hilfsprogramm ist ungenügend“. Brandbrief hat eine bildungspolitische Debatte ausgelöst.

Hamburg. Im Ton freundlich, aber in der Sache hart: Die Schulleiter der 14 staatlichen Schulen in Wilhelmsburg und auf der Veddel lehnen die von Schulsenator Ties Rabe (SPD) angebotene Hilfe als ungenügend ab. Im Dezember hatten die Schulleiter in einem Brandbrief an Rabe auf die "nicht mehr hinnehmbare Häufung von Problemlagen" aufmerksam gemacht und vor einem "Deichbruch" infolge der Überlastung der Lehrer gewarnt.

Wesentlicher Punkt: Schüler würden mit so erheblichen Defiziten eingeschult, dass es nicht gelinge, diese später auszugleichen. Mehr als die Hälfte der Drittklässler auf den Elbinseln sei auf dem Stand der ersten Klasse. Ende März hatte Rabe nach ausführlichen Gesprächen zwischen Beamten der Schulbehörde und den Schulleitern ein kleinteiliges Programm von zwölf Einzelmaßnahmen für 15 bis 20 Schulen in sozialen Brennpunkten angekündigt. Die Standorte, die noch nicht festgelegt sind, sollen außer in Wilhelmsburg auch in Billstedt, Lurup oder auf St. Pauli liegen. Insgesamt will Rabe bis zu zehn Millionen Euro investieren, die allerdings durch Umschichtungen aus dem Haushalt der Schulbehörde erbracht werden sollen.

In einem erneuten Brief, der dem Abendblatt vorliegt, loben die 14 Schulleiter zwar, dass Rabes Programm die sozialen Unterschiede in den Hamburger Schulen wahrnimmt und anerkennt. "Gleichwohl stellen wir fest, dass die besondere regionale Situation der Elbinseln Wilhelmsburg und Veddel aus unserer Sicht nicht ausreichend berücksichtigt wird", heißt es in dem Brief. Außerdem plane Rabe nicht, alle Schulen der Elbinseln einzubeziehen. "Aus diesem und weiteren Gründen weisen wir Schulleiterinnen und Schulleiter der Elbinseln das vorgelegte Programm als ungenügend zurück, auch wenn wir die Zielrichtung als richtig erachten", lautet der Kernsatz.

Konkret kritisieren die Pädagogen, dass die drei von ihnen beschriebenen zentralen Problemfelder "nur an den Rändern des Programms Berücksichtigung" finden: die defizitären Startbedingungen der Schüler, die Überlastung der Kollegen und die Fülle der Koordinationsaufgaben. Auch die Hinweise zur Inklusion, zu vorschulischer Bildung und Personalentwicklung hätten "keine Erwähnung gefunden".

Rabe will den ausgewählten Schulen in sozialen Brennpunkten für jede erste, fünfte und sechste Klasse sechs Arbeitsstunden pro Woche zusätzlich zur Verfügung stellen, damit die Lehrer unter anderem die Zusammenarbeit mit den Eltern intensivieren können. Den Wilhelmsburger Schulleitern geht das nicht weit genug. Sie fordern eine Ausweitung der Unterstützung auf alle Klassen, in denen Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf sitzen.

Außerdem sollen die Schulen ihre zusätzlichen Lehrerstunden für Sprach-, Lern- und sonderpädagogische Förderung flexibler als bisher einsetzen können. Mehr Eigenverantwortung halten die Schulleiter für richtig. "Aber wir stellen fest, dass die bis heute zur Verfügung gestellten Förderressourcen nach wie vor nicht ausreichen", heißt es in dem Brief an Rabe. Weitere Ideen aus dem Rabe-Programm wie die Entwicklung schuleigener Bildungspläne unterstützen die Elbinsel-Schulleiter, bleiben aber bei ihrem Tenor, dass das nicht "zum Nulltarif" geleistet werden könne.

Der Wilhelmsburger Brandbrief hat eine bildungspolitische Debatte ausgelöst, bei der es vor allem um die schwierige Lage von Grund- und Stadtteilschulen in sozialen Brennpunkten geht. Rabe wies Ende März bei der Vorstellung seines Programms darauf, dass die Wilhelmsburger Schulen wegen ihrer besonderen Problematik seit 2011 bei fast gleichbleibenden Schülerzahlen 15 Prozent mehr Lehrerstellen zugewiesen bekommen haben. In Wilhelmsburg stehe zudem mit dem Bildungszentrum "Tor zur Welt" Hamburgs "schönster und größter Schulbau".

Zu dem erneuten Brief aus Wilhelmsburg und der darin enthaltenen Kritik wollte sich Rabe nicht direkt äußern. "Wir wollen miteinander reden und nicht Tarifverhandlungen über die Öffentlichkeit führen", sagte der Senator dem Abendblatt. "Die Schulbehörde hat erste Vorschläge gemacht, die Grundlage für weitere Gespräche sein werden", ergänzte Rabes Sprecher Peter Albrecht. Noch seien keine Entscheidungen getroffen worden. Das soll laut Rabes Ankündigung vom März bis zu den Sommerferien geschehen.

"Einmal mehr wird deutlich, dass Senator Rabe den Ernst der Lage an den Elbinsel-Schulen nicht erkannt hat", sagte die Grünen-Schulpolitikerin Stefanie von Berg. "Er versucht die Schulleitungen mit Mini-Maßnahmen abzuspeisen, aber die wirklich großen Probleme ignoriert der Senator." Die Arbeit in den Schulen sei "ein täglicher Kraftakt, weil sie eine schwierigere Bildungsaufgabe zu meistern haben als Schulen in sozial bevorzugten Lagen". Aus Sicht von Bergs muss dringend über eine weitere personelle Verstärkung für die Schulen geredet werden.