Auch die Inklusion gilt unter den Unterzeichnern des Brandbriefs an den Schulsenator als Ursache der desaströsen Zustände an den Schulen.

Hamburg. Sie werden für ihre pädagogische Arbeit mit Schulpreisen überhäuft, aber die Leistungen ihrer Schüler bleiben trotz aller Bemühungen weit unterdurchschnittlich - mit geringen Chancen später auf dem Arbeitsmarkt: Es ist dieser Zwiespalt, der die Leiter der 14 staatlichen Schulen in Wilhelmsburg und auf der Veddel dazu gebracht hat, in schonungsloser Offenheit, aber selbstbewusst einen Brandbrief an Schulsenator Ties Rabe (SPD) zu schreiben.

"Es ist schwer zu sagen, was das Fass zum Überlaufen gebracht hat", sagt Jörg Kallmeyer, Leiter der Stadtteilschule Wilhelmsburg und einer der Unterzeichner des Brandbriefs. Vielleicht sind es die neuen Herausforderungen der Inklusion, die im Papier etwas verächtlich "Teil-Inklusion" genannt wird. Die Schulleiter sind nicht gegen den Wechsel förderbedürftiger Kinder auf Regelschulen, die Pädagogen sind durch die Bank Anhänger des (längeren) gemeinsamen Lernens.

Aber: "Alle problembeladenen Schüler kommen jetzt zu uns. Haupt- und Realschulen gibt es nicht mehr", sagt Kallmeyer. Rund 60 Inklusionsschüler in den Klassen 1, 2, 5 und 6 besuchen die Stadtteilschule Wilhelmsburg. Es geht weniger um die Zahl, sondern mehr um das Umfeld. "Inklusion auf unterem Leistungsniveau, zulasten gerade der Schüler, die leistungsstärkere Mitlerner benötigen, aber leistungsschwache Mitlerner bekommen", heißt es dazu im Brandbrief. Die schulische Lage auf den Elbinseln werde durch die Inklusion "verschärft".

Worin das Kernproblem besteht, hatte das Abendblatt am Dienstag berichtet: Zwischen 80 und 90 Prozent der Schüler in Wilhelmsburg und auf der Veddel haben eine Migrationsgeschichte, viele von ihnen kommen aus sogenannten bildungsfernen Elternhäusern. "Damit verbunden ist ein überdurchschnittlich hoher Anteil von Schülern, die weder die eigene Muttersprache noch Deutsch in Schrift und Sprache ausreichend beherrschen", schreiben die Schulleiter.

Die Folgen sind dramatisch: Zwischen 50 und 75 Prozent der Drittklässler erreichen in den Kernkompetenzen "Mathematik, deutsche Sprache und Sprachgebrauch sowie Leseverstehen nur Erstklässler-Niveau". Fazit der Schulleiter: Die Kinder, die mit erheblichen Defiziten eingeschult werden, können diesen Nachteil später nicht mehr ausgleichen und aufholen.

Eine Folge schulischer Perspektivlosigkeit sind "Verhaltensoriginalitäten und soziale Auffälligkeiten", wie es der Brandbrief eher vage umschreibt. Schulleiter Kallmeyer umreißt es so: Manchmal genüge ein Schüler, um eine Klassengemeinschaft zu sprengen. Der erfordere dann 70 Prozent der Energie und der Aufmerksamkeit des Lehrers, damit "der Laden zusammenhält".

Es kommen massive Konzentrationsschwierigkeiten der Schüler hinzu. "Ehrgeiz, Sich-Anstrengen - da ist häufig nichts. Die Jungen und Mädchen sind sehr schnell mit irgendetwas zufrieden und schwer in die Gänge zu bringen", sagt Kallmeyer. Diese Mischung sei "katastrophal".

Gerade für die jungen Lehrer, die inzwischen in größerer Zahl an den Elbinselschulen unterrichten, sei das alles eine "unglaubliche Belastung". Die Pädagogen, die 25 Unterrichtsstunden pro Woche geben, müssen sich mit Kollegen absprechen, Elterngespräche führen und häufig mit dem Sozial- oder Jugendamt Kontakt halten. "Sie müssen es schaffen, zu den Schülern Beziehungen aufzubauen, und stehen den ganzen Tag unter Strom", sagt Kallmeyer.

"Es ist ein sehr wichtiges Signal, dass Schulleitungen jetzt den Mut haben, über die massiven Probleme in einigen Stadtteilen zu sprechen", sagt der CDU-Bildungspolitiker Robert Heinemann. Wilhelmsburg stehe nicht alleine da. "Viele Schulen in anderen Stadtteilen müssen jeden Tag genauso kämpfen." Heinemann macht vor allem die seiner Ansicht nach von der SPD falsch organisierte Inklusion für die Verschärfung der Problemlage verantwortlich. "Anstatt wie in Bremen diese Schüler gezielt einzelnen Schulen zuzuweisen, landen sie in Hamburg genau dort, wo die Probleme ohnehin schon am größten sind", sagt Heinemann.

"Die Analyse ist richtig", sagt SPD-Bildungspolitiker Lars Holster. Die Schulleiter hätten eine Bestandsaufnahme vorgelegt, über die man reden könne. "Die Schulen befinden sich in einer äußerst schwierigen Lage, aber sie ist nicht grundlegend anders als in Horn oder Neuwiedenthal." Holster weist darauf hin, dass erhebliche Geldbeträge in moderne Schulgebäude auf den Elbinseln investiert worden sind. Stefanie von Berg (Grüne) sieht den Brandbrief als "Hinweis auf die soziale Spaltung Hamburgs" an. Es sei "ein mutiger und wichtiger Schritt der Schulleitungen, die Realität an ihren Schulen anzusprechen". Jetzt sei ein "breit angelegtes Bildungs- und Integrationskonzept" nötig - nicht nur für Wilhelmsburg.