Warum ihr Wohlbefinden wichtiger ist als unser Wohlstand

Es gibt Erkenntnisse, die wollen einfach nicht zusammenpassen. Dass Deutschlands Kinder erfolgreich, aber trotzdem nicht glücklich sind, ist so eine Erkenntnis. Wie kann es sein, dass in einem der friedlichsten und wohlhabendsten, in einem freien und aufgeklärten Land die Jüngsten alles Mögliche sind, nur nicht zufrieden? Dass die Bundesrepublik unter allen von Unicef untersuchten Industrieländern nur den 22. Platz einnimmt, weit hinter den Niederlanden, Griechenland oder Slowenien, macht traurig und nachdenklich. Denn die Botschaft ist eindeutig: Wir sind kein kinderfreundliches Land, wir sind keine Gesellschaft, in der sich Mädchen und Jungen wohlfühlen. Und das hat nichts mit irgendwelchen materiellen Dingen zu tun. Es gibt mehr, auf das es im Leben wirklich ankommt - und um das wir uns alle zu wenig kümmern.

Denn es ist ja nicht so, dass sich allein unsere Kinder bei Befragungen über ihr Wohlbefinden zurückhaltend bis negativ äußern. Die Deutschen könnten, nein, müssten, gemessen an objektiven Kriterien, zu den glücklichsten Völkern auf dieser Erde gehören. Von uns aus gesehen gibt es nur wenige Länder, in denen es den Menschen bessergeht, in denen es sich besser leben lässt.

Und trotzdem tauchen wir, die seit Jahrzehnten von Krieg und Katastrophen Verschonten, in den weltweiten Glücksranglisten wenn überhaupt irgendwo im Mittelfeld auf. Bei den Eltern und Großeltern mag es an der typisch deutschen Eigenschaft liegen, die eigene Lage eher kritisch zu bewerten und in allem Guten immer noch etwas zu finden, was verkehrt läuft. Oder, wie es ein österreichischer Bekannter neulich sagte: Wenn man einen Deutschen fragen würde, wie sein Urlaub war, würde er in acht von zehn Fällen erklären: viel zu kurz. Und das Wetter hätte besser sein können. Auf jeden Fall: das Negative zuerst. Bei den Erwachsenen hat man sich daran, leider, gewöhnt. Aber bei Kindern? Bitte nicht.

Ihr Urteil in der Unicef-Studie sollte eine Warnung sein, die Situation von Kindern und die Politik für sie in der Bundesrepublik zu hinterfragen. Was machen die Niederländer besser, warum fühlen sich Kinder in Griechenland selbst dann wohler, wenn ihr Land in der Finanz- und Wirtschaftskrise zu versinken droht? Und: Wenn es offenbar keinen Zusammenhang zwischen materiellem Wohlstand und persönlichem Wohlbefinden gibt, was sagt das dann eigentlich über unser Lebens- und über unser Gesellschaftsmodell aus?

Die letzte Frage ist die entscheidende, und sie lässt sich am schwersten beantworten. Wahr dürfte wohl sein, dass wir uns alle in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten zu sehr darauf konzentriert haben, im materiellen Sinn reicher zu werden, nach dem Motto: Unsere Kinder sollen es einmal besser haben als wir. Das war bei den Nachkriegsgenerationen verständlich und hat glücklicherweise auch funktioniert.

Doch inzwischen ist es immer schwieriger, nachwachsenden Jahrgängen das Gefühl zu geben, auf sie kämen rosigere Zeiten zu. Das liegt zum einen am Grad des Wohlstands, den wir auf allen Ebenen erreicht haben, das liegt aber auch und gerade am Stellenwert, den Familie und Kinder bei uns haben. Wir leben heute in einem Land, in dem Anwohner ernsthaft wegen des Lärms auf einem Kinderspielplatz (!) klagen, wo es nicht mehr selbstverständlich ist, einer Mutter (oder einem Vater) mit Kinderwagen die Tür im Kaufhaus aufzuhalten, und in dem immer mehr Menschen Kinder als Belastung empfinden und sie deshalb im Zweifel gar nicht erst in die Welt setzen.

Dagegen kann eine andere Familienpolitik helfen, vor allem aber eine Rückbesinnung auf das, was uns wirklich reich macht: nämlich möglichst viele glückliche Kinder.