Neue Anmeldezahlen: In einigen Stadtteilschulen hat schon jedes dritte Kind erhebliche Lern- oder Sprachdefizite. Zu wenig Fachkräfte.

Hamburg. Der Druck auf die Grund- und Stadtteilschulen hält beim Thema Inklusion unvermindert an: Immer mehr Eltern melden Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf auf Regelschulen an. Den Bedarf sehen sie in den Bereichen Lernen, Sprache sowie emotionale und soziale Entwicklung (LSE). Innerhalb eines Jahres hat sich allein die Zahl der Kinder mit Defiziten in der emotionalen und sozialen Entwicklung von 478 auf 1078 mehr als verdoppelt.

Das ist das Ergebnis der Senatsantwort auf eine Kleine Anfrage der Grünen-Abgeordneten Stefanie von Berg. Von den 4764 Kindern, bei denen Lerndefizite diagnostiziert worden sind, besuchen nur noch 29,5 Prozent eine Sonderschule. Im Schuljahr 2011 / 12 waren es noch 39,5 Prozent. Ähnlich ist der Trend bei der zweiten großen Gruppe der LSE-Kinder: Der Anteil der Jungen und Mädchen mit Defiziten in der Sprachentwicklung, die eine Sonderschule besuchen, beträgt im laufenden Schuljahr noch 37,5 Prozent (im Vorjahr: 57,1 Prozent). Im Schulgesetz ist das Recht auf Inklusion (Einschluss) festgeschrieben, das Eltern ermöglicht, ein Kind mit sonderpädagogischem Förderbedarf auf einer Regelschule statt auf einer Sonderschule anzumelden. Wie berichtet, hat sich die Gesamtzahl der Inklusionskinder, die eine Grund- oder Stadtteilschule besuchen, in einem Jahr von 2344 auf 4933 mehr als verdoppelt. Schon im Jahr zuvor hatte sich die Zahl verdoppelt.

"Es ist erfreulich, dass mehr Eltern ihre förderbedürftigen Kinder auf allgemeinen Schulen anmelden", sagte von Berg. Das sei gewollt und das Ziel der Inklusion. "Allerdings werden viele Schulen mit der Umsteuerung weiter alleingelassen", sagte von Berg.

Der Anteil der LSE-Kinder an den Stadtteilschulen ist sehr unterschiedlich. Es gibt Standorte, an denen mehr als 20 Prozent der Kinder, die für die fünften Klassen angemeldet worden sind, sonderpädagogischen Förderbedarf haben. So wird der LSE-Kinder-Anteil in den fünften Klassen des kommenden Schuljahres an der Geschwister-Scholl-Stadtteilschule in Lurup zwischen 20 und 33 Prozent liegen. Auch die Stadtteilschulen Am Hafen (27,5 bis 31,9 Prozent) und Poppenbüttel (16,3 bis 28,6 Prozent) verzeichnen hohe Werte. Die Schwankungen ergeben sich unter anderem daraus, dass noch nicht abschließend feststeht, auf welche Schule die Kinder wechseln.

Besonders starken Zulauf an Inklusionskindern verzeichnen die Stadtteilschulen Altrahlstedt (21,9 Prozent), Ehestorfer Weg (Eißendorf, 22,8 Prozent), Barmbek (bis zu 22,6 Prozent), Bramfelder Dorfplatz / Hegholt (Bramfeld, bis zu 22,3 Prozent), Eidelstedt (bis zu 20,2 Prozent), Mümmelmannsberg (bis zu 21,4 Prozent), Öjendorf (bis 23 Prozent) und Rissen (20,75 Prozent).

Von Berg kritisiert, dass an etlichen dieser Schulen zu wenig Fachkräfte - also vor allem Sonder- und Sozialpädagogen - eingesetzt werden. Entscheidend für die Zuweisung dieser Personalressource ist der Sozialindex einer Schule und ihres Einzugsgebiets. Bei Schulen in sozialen Brennpunkten nimmt die Schulbehörde an, dass der Anteil förderbedürftiger Kinder höher ist. Entsprechend ist auch die personelle Ausstattung besser.

Trotzdem ergeben sich erhebliche Differenzen. Ein Beispiel: Laut Berechnung der Schulbehörde beträgt der zu erwartende Anteil an Inklusionskindern für die Stadtteilschule Am Hafen 14,1 Prozent. Basierend auf diesem Wert erhält die Schule sonderpädagogisches Fachpersonal im Umfang von 3,5 Wochenstunden pro Inklusionsschüler. Die Zahl der Anmeldungen liegt allerdings deutlich darüber. Eine ähnliche Diskrepanz ergibt sich für die Geschwister-Scholl-Stadtteilschule oder Stadtteilschule Eidelstedt.

Besonders gravierend ist die Lücke zwischen Soll und zu erwartendem Ist an der Stadtteilschule Rissen. Da diese Schule in einem vergleichsweise stabilen sozialen Umfeld liegt, rechnet die Schulbehörde mit einem Inklusionskinder-Anteil von 5,7 Prozent. Nach der Anmelderunde im Februar betrug die Quote allerdings 20,5 Prozent. "Wir brauchen dringend einen Feuerwehrtopf, um auf Problemlagen schnell und flexibel reagieren zu können", sagt die Grünen-Schulexpertin. Der Senat weist in seiner Antwort auf die von-Berg-Anfrage darauf hin, dass es "im Rahmen der Schulorganisation und der weiteren Überprüfungen erfahrungsgemäß noch deutliche Veränderungen" der Anmeldezahlen geben werde. Schulsenator Ties Rabes (SPD) besonderes Augenmerk gilt der Tatsache, dass sich die Zahl der Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf an der Gesamtschülerschaft insgesamt deutlich gestiegen ist: von 5,0 Prozent (Schuljahr 2010 / 11) über 5,4 Prozent (2011 / 12) auf jetzt 6,6 Prozent. Die Steigerung geht maßgeblich auf den LSE-Bereich zurück und trifft die Grund- und Stadtteilschulen. "Von dem Begriff LSE träume ich mittlerweile", bekannte Rabe schon einmal. Der Senator hat den Erziehungswissenschaftler Prof. Karl Dieter Schuck mit der Erforschung der Ursachen beauftragt.