Das Trinkgeld für die Toilettenfrau im Kaufhaus ging auch an den Chef. Ihre Klage scheiterte. Nun will Heidrun D. Berufung einlegen.

Hamburg. Heidrun D. wirkt angespannt. Für sie geht es im Hamburger Arbeitsgericht nicht nur um Geld, sondern um Gerechtigkeit. Kurz vor dem Prozess gegen ihren Ex-Chef Benyamin Ö. platzt es aus der 58-Jährigen heraus: "600 Euro brutto für einen Vollzeitjob, das ist doch ein Witz."

Tagein, tagaus, von montags bis freitags, manchmal sogar an den Wochenenden, habe sie für einen "Hungerlohn" in den Toilettenräumen von Karstadt an der Mönckebergstraße, Karstadt an der Wandsbeker Marktstraße und im Alsterhaus geschuftet. Schrubben, putzen, wischen - und das an manchen Monaten für nicht mehr als 4,30 Euro pro Stunde, einschließlich kleiner Prämien. Von dem Trinkgeld der Kunden habe sie keinen Cent gesehen, weil sie es komplett an die Servicefirma Kaiserhaus abführen musste, für die sie seit April 2012 arbeitete. Ende September 2012 kündigte sie und verklagte kurz darauf ihren Ex-Chef Benyamin Ö. vor dem Arbeitsgericht.

In dem Fall geht es darum, ob Heidrun D. Anspruch hat auf den tariflichen Mindestlohn für Gebäudereiniger in Höhe von 8,82 Euro pro Stunde. Insgesamt fordert sie rückwirkend 6000 Euro brutto von ihrem Ex-Chef. Doch die 58-Jährige ist am Donnerstag in erster Instanz gescheitert, weil sie nicht beweisen konnte, dass sie mehr als die Hälfte ihrer Arbeitszeit mit der Reinigung der WC-Räume beschäftigt war. "Deshalb konnte auch nicht die Anwendbarkeit des Tarifvertrags festgestellt werden", sagte eine Gerichtssprecherin. Heidrun D. sei in erster Linie für die Überwachung der WC-Räume, nicht aber für deren Reinigung zuständig gewesen, sagte ihr Ex-Chef. Deshalb gelte für sie auch nicht der tarifliche Mindestlohn.

Um mit ihrer Klage durchzukommen, hätte Heidrun D. indes den Umfang ihrer Reinigungstätigkeit belegen müssen - was rückwirkend kaum möglich ist. Das Subunternehmen, für das sie arbeitete, hatte nach Angaben des Inhabers die Toilettenräume von den Kaufhäusern gepachtet und über die Trinkgelder der Kunden hinaus keine weitere Vergütung erhalten. "Hätten wir einen gesetzlichen Mindestlohn", sagte sein Anwalt Jan Freitag, der für die SPD in der Bezirksversammlung Nord sitzt, "wäre ein solches Geschäftsmodell nicht möglich, weil es sich nicht lohnen würde." Auf eine Anfrage des Hamburger Abendblatts hat Karstadt bisher nicht reagiert.

Die Auslagerung von Dienstleistungen an externe Subunternehmer ist inzwischen gängige Praxis, seit Jahren verzeichnet etwa die Hans-Böckler-Stiftung einen Anstieg "prekärer Beschäftigungsverhältnisse". Für Schlagzeilen sorgte 2007 der Fall des Zimmermädchens Antonia H., die für umgerechnet 2,46 Euro pro Stunde im Luxushotel Dorint putzen musste. Lohnwucher sei bei derartigen Geschäftsmodellen weit verbreitet, neben Zimmermädchen würden auch Paketzusteller und Sicherheitsleute häufig mit Hungerlöhnen abgespeist, sagt Wolfgang Abel, Hamburger Landeschef der Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di. Um dies zu ändern, müssten neben den Subunternehmen auch die Auftrag gebenden Firmen "in Haftung" genommen und endlich ein gesetzlicher Mindestlohn eingeführt werden. Mitte 2013 werde Ver.di unter dem Motto "Fair statt prekär" eine Liste von Hamburger Unternehmen veröffentlichen, die direkt oder indirekt ausbeuterische Gehälter zahlen.

Fast vier Prozent der Beschäftigten in Deutschland erhalten nach einer Studie des Duisburger Instituts für Arbeit und Qualifikation "extreme Niedriglöhne", also weniger als fünf Euro pro Stunde. Weil das Gehalt nicht reicht, müssen viele mit Hartz IV aufstocken - allein für die Aufstocker mit Vollzeitstelle gibt der Staat jährlich rund vier Milliarden Euro aus. Abel: "Die Steuerzahler zahlen also für das Lohndumping bestimmter Firmen."

Aufgestockt hat Heidrun D. nicht, "aus Stolz", wie sie sagt. Wie viele andere Niedriglöhner besitzt die 58-Jährige keinen Schulabschluss, hat aber als Putzfrau stets hart gearbeitet. Rückblickend verstehe sie nicht, weshalb sie bei der Servicefirma angeheuert habe, sagt sie. Von morgens bis abends habe sie die WC-Räume gereinigt und im Alsterhaus obendrauf noch die Personaltoiletten. "Um 22 Uhr kam ich nach Hause, um fünf Uhr stand ich wieder auf." Damals habe sie aber unbedingt einen Job haben wollen, da sei es ihr auch egal gewesen, dass sie jeden Tag 120 Kilometer zwischen ihrem Wohnort Sumte (Niedersachsen) und Hamburg pendeln musste. Aus Zorn über das Unrecht habe sie nach der Kündigung - mit einer Rechtsschutzversicherung im Rücken - gegen ihren Ex-Chef geklagt. Sie will Berufung einlegen.