Die Versorgung mit Wasser muss Teil der Daseinsfürsorge für jeden Bürger bleiben

Vielleicht hätte der Vorstoß der EU nur wenige Menschen in Europa interessiert, wäre es nicht das Jahr 2013. Und hätte es nicht fünf Jahre Finanzkrise gegeben, Bankenpleiten, Rettungsschirme und Berichte über haushohe Abfindungen für gescheiterte Manager. Die Skepsis gegenüber den Kräften des Marktes ist groß. Turbo-Kapitalismus war Neunziger. Die Sehnsucht nach einem Staat, der Sicherheit verspricht, ist dagegen groß. Es ist nicht die Zeit der Privatisierer.

Und damit auch keine gute Zeit für EU-Binnenmarkt-Kommissar Michel Barnier. Er will Wasserversorgung in den Mitgliedstaaten für private Dienstleister öffnen. 1,3 Million Europäer fürchten, dass die EU ihre Wasserwerke privatisieren wird. Sie haben deswegen das Bürgerbegehren "Wasser ist ein Menschenrecht" unterschrieben. Und viele protestieren an der Seite der kommunalen Wasserversorger und Lokalpolitiker. Viele Sorgen sind berechtigt. Einiges ist aber auch reflexartige Anti-EU-Empörung.

Barnier argumentiert, er wolle den Wettbewerb in Europa stärken. Das ist ein richtiges Ziel, da eine europaweite Ausschreibung von Versorgungsaufträgen Korruption innerhalb der Behörden bei der Vergabe verhindern kann. Doch ist dieses hohe Misstrauen gegenüber den Behörden nicht mit Zahlen zur Korruption belegt. Barnier nennt keine Fälle. Und wie soll Wettbewerb überhaupt entstehen, wenn nur eine einzige Wasserleitung ins Haus des Verbrauchers führt. Was sich Barnier erhofft, ist ein geringerer Preis und bessere Qualität des Wassers. Durch mehr Wettbewerb. Doch genau an dieser Stelle lehrt die Vergangenheit anderes: Berlin hat die Teilprivatisierung der Wasserwerke Ende der 1990er-Jahre erlebt - die Preise stiegen deutlich an. Im französischen Grenoble wurde 1989 eine Firma mit der Wasserversorgung beauftragt. Es kam zu überteuerten Preisen bei Wartungen der Leitungen und im Kundendienst. Die Gemeinde zahlte für die Verluste des Unternehmens. So sah es der Vertrag zwischen Stadt und Firma vor. Diese und andere Fälle auch in Deutschland zeigen die Risiken der Privatisierung - aber auch die vergebenen Chancen des Staates.

Versorgung mit Wasser ist ein Menschenrecht. Es geht nicht um Handyproduktion oder Autoreifen. Wir können ohne neue Computer leben - aber nicht ohne sauberes Wasser. Es gibt Bereiche der Versorgung, die gehören unter staatliche Kontrolle: Wasser, aber auch Gesundheit, Bildung und Verkehr. Neue Wasserleitungen sind Investitionen, die sich erst nach Jahrzehnten rechnen - Zeitspannen, die sich mit kurzfristigen Gewinninteressen von Unternehmen nur schwer vereinbaren lassen. Und dennoch ist der Staat nicht automatisch der bessere Versorger. Wer die EU kritisiert, darf nicht unterschlagen, dass auch unter Kontrolle der Behörden die Preise anstiegen und Stellen gestrichen wurden. Fallen hohe Kosten für neue Wasserrohre an, belastet das den Haushalt einer Gemeinde stark - Geld, das woanders fehlt.

Und die Behörden agieren oft als Einzelgänger. Spezialisierte Unternehmen dagegen verfügen über Expertise und Infrastruktur für eine professionelle Wartung von Wasserleitung und Anlaufstellen für Kundenservice. Eine Zusammenarbeit mit privaten Dienstleistern kann sich also lohnen - allerdings mit klaren Regeln. Die Kommune darf die Geschäftsführung, und damit die Entscheidungen über Preise und Wartung, nicht aus der Hand geben. Sie muss sich absichern gegen Verluste, anstatt für Verluste von Unternehmen zu haften. Und eine Kommune darf trotz Haushaltslöcher bei der Auswahl der privaten Partner nicht nur auf die Einnahmen schielen. Qualität und soziale Standards der konkurrierenden Firmen gehören geprüft. Hierbei kann die Richtlinie der EU für eine europaweite Ausschreibung helfen. Ein Zwang darf es für Kommunen aber nicht geben.