Der Ältermann der Lotsenbrüderschaft Elbe, Albrecht Kramer, sorgt sich um einen reibungslosen Schiffsverkehr in den Hamburger Hafen.

Hamburg. Draußen vor dem Büro von Albrecht Kramer fährt Arbeit vorbei, in beide Richtungen, immer wieder an diesem Vormittag. Der Ältermann der Lotsenbrüderschaft Elbe hat den geografischen Beginn seines Wirkungsbereichs von seinem Schreibtisch aus direkt im Blick. Um die Schiffe zu sehen, die am Anleger Teufelsbrück elbaufwärts und elbabwärts vorbeifahren, muss er nicht mal zu dem Fernglas auf seinem Sideboard greifen. Sondern nur aus dem Fenster über die Elbchaussee auf den Fluss schauen. Da zieht gerade eine mächtige schwarze Bordwand mit den weißen Buchstaben UASC darauf vorüber. Es ist die "Ain Snan" der Reederei United Arab Shipping Company, ein Containerfrachter der neuesten Generation auf dem Weg nach Hamburg.

Kramer, 65, geht in den Konferenzraum nebenan. "Das sehen wir uns mal genauer an", sagt er. Auf einem breiten Bildschirm erscheint ein Kartenausschnitt des Hamburger Elbgebietes mit etlichen bunten Symbolen darauf. Es ist der aktuelle Verkehrsstand eines Schiffsinformationsdienstes im Internet. Kramer klickt eines der Symbole an und bekommt die Daten der "Ain Snan". 366 Meter lang und 48 Meter breit ist das Schiff. Mit 12,10 Meter Tiefgang läuft es seinem Ziel entgegen, dem Eurogate-Terminal im Waltershofer Hafen. Es sind solche Großfrachter, die Hamburg mit Stolz empfängt, die der Hafenwirtschaft zugleich aber wachsende Sorgen bereiten. Gut 130 Kilometer müssen Schiffe von der Deutschen Bucht aus bis Hamburg die Elbe herauffahren. Die Fahrrinne des Stroms aber ist für den wachsenden Andrang immer größerer Schiffe nicht präpariert.

Kramer holt seinen Jahresbericht für 2012 hervor und schlägt eine Tabelle auf. "Die Zahl besonders großer Schiffe ist in den vergangenen Jahren rasant gestiegen", sagt er. "2012 kamen allein 527 Schiffe mit mehr als 360 Meter Länge in den Hamburger Hafen und 1645 Schiffe mit mehr als 33 Meter Breite." Das seien jeweils fünf Prozent mehr als im Vorjahr.

Zwar stagniert das Ladungsaufkommen in Hamburg seit einigen Jahren, bedingt durch die Folgen der Weltfinanzmarktkrise. Dennoch nimmt die Größe der Containerschiffe weiter zu, vor allem auf den für Hamburg besonders wichtigen Asienverkehren. Je größer ein Schiff, desto preisgünstiger können die Reedereien jeden einzelnen Container transportieren. Für die städtische Politik und für die Hafenwirtschaft sind die Schiffsgrößen das entscheidende Argumente, eine Verbreiterung und Vertiefung der Elbfahrrinne voranzutreiben.

Derzeit allerdings liegt das Großprojekt zur Prüfung beim Bundesverwaltungsgericht in Leipzig. Den Vollzug des Planverfahrens stoppten die Richter im vergangenen Oktober, um sich mit den Klagen von Umweltschutzverbänden wie BUND und Nabu sowie anderer Beteiligter auseinanderzusetzen. Die Kläger fürchten, dass eine erneute Ausweitung der Fahrrinne das Ökosystem des Flusses und die Sicherheit der Deichsysteme irreparabel schädigt. Die Stimmung zwischen Gegnern und Befürwortern des Projekts ist angespannt. Eine Entscheidung fällt das Gericht wohl im vierten Quartal dieses Jahres. Ältermann Kramer sieht die Dinge gelassener, doch mit klarem Standpunkt. "Wir Lotsen verstehen uns nicht nur als Dienstleister der Wirtschaft, sondern auch als Interessenvertreter der Elbe insgesamt", sagt er. "Die Gegner der Fahrrinnenanpassung sind nicht weltfremd. Ihre Argumente müssen gehört werden. Aber ich habe ein gutes Gefühl, dass der Beschluss zur Planfeststellung vor Gericht bestätigt wird. Die Planungen sind bündig. Da wurde sehr gute Arbeit geleistet."

Die Elblotsen erleben den Konflikt zwischen der Erhaltung des Flusses und seiner immer intensiveren wirtschaftlichen Nutzung täglich. 260 freiberufliche Lotsen, alle mit Kapitänspatent, arbeiten für die Lotsenbrüderschaft Elbe. Sie kennen die Lebensader Norddeutschlands in- und auswendig. Die Navigationsexperten sind zuständig für die Führung der Schiffe von der Ansteuerung in der Deutschen Bucht bis zur Übergabe an die Hafenlotsen in Teufelsbrück. "Wenn der Lotse auf der Brücke steht, trägt er die Verantwortung für das Schiff", sagt Kramer.

Er ist ein Seemann alter Schule, auf allen Meeren war er als Steuermann, Offizier und Kapitän unterwegs. "Nur die Westküste Südamerikas kenne ich nicht", sagt er. Seit 1987 arbeitet er für die Lotsenbrüderschaft Elbe, viele Jahre auf Europas größter Lotsenstation in Brunsbüttel, seit 2008 als Ältermann in der Zentrale in Hamburg. Dort beschäftigt ihn vor allem die Verwaltung: die Modernisierung der Lotsenbootsflotte, die Personalführung, die Suche nach dem immer knapperen Nachwuchs. "Wir bräuchten dringend noch 30 Lotsen mehr. Aber es gibt einen gravierenden Mangel an deutschen Seeleuten." Angesichts eines stetig wachsenden Schiffsverkehrs ist das ein Engpass für die gesamte Hafenwirtschaft.

Die Erweiterung der Fahrrinne hält Kramer aus vielen Gründen für unverzichtbar. "Bei der öffentlichen Diskussion stehen meist die Tiefgänge der Schiffe im Vordergrund", sagt er. "Für die Reedereien sind größere Tiefgänge sehr wichtig, weil sie dann mehr Ladung auf die Schiffe stellen können. In unserer täglichen Arbeit erleben wir aber noch öfter den Konflikt um die Schiffsbreiten." Maximal 90 Meter breit dürfen zwei Schiffe insgesamt sein, die auf der Unterelbe einander passieren. Die 48 Meter breite "Ain Snan" von UASC etwa dürfte auf dem Revier keinem ihrer Schwesterschiffe begegnen.

Im großen Plan zur Elberweiterung sind auch Verbreiterungen der Fahrrinne und eine neue Begegnungszone zwischen Stade und Hamburg vorgesehen, quasi Ausweichbuchten. Bislang müssen besonders große Schiffe einander abwarten, sei es im Hafen oder in der Deutschen Bucht. Das führt zu wachsendem Druck in den Fahrplänen. "Vor dem Auslaufen in Hamburg plant der Kapitän eines Containerfrachters nicht nur die Fahrzeiten bis zum nächsten Hafen, zum Beispiel Bremerhaven, sondern bis zur Ankunft am Suezkanal", sagt Kramer. "Vor allem bei den ganz großen Schiffen wird jede Verzögerung sehr schnell sehr teuer."

Bei den zuständigen Fachleuten und bei der Politik hat sich Kramer für die Verbreiterung und Vertiefung der Elbfahrrinne eingesetzt. Die Umsetzung des Projekts, wie auch immer das Gericht darüber entscheidet, wird er als Ältermann jedenfalls nicht mehr erleben. Am Freitag verabschiedet ihn die Lotsenbrüderschaft im Hafen-Klub an den Landungsbrücken in den Ruhestand. Neben zahlreichen Gästen wird auch die in Brunsbüttel an der Nordsee stationierte "Explorer" dabei sein, das modernste Lotsenversetzboot der Welt, ein Prototyp der Werft Abeking & Rasmussen. Das ist die Verneigung der Lotsenbrüderschaft vor ihrem scheidenden Ältermann - und dessen Hinterlassenschaft an seine Elblotsen.