Hamburgerin Julia Dingwort-Nusseck ist eine der ersten deutschen Karrierefrauen - und gelangte bis an die Spitze einer Landeszentralbank.

Hamburg. Sie ist eher klein, zierlich, 91 Jahre alt, hellwach und eine echte Dame aus Hamburgs vornehmen Westen. Der Lebenslauf von Julia Dingwort-Nusseck steht wie kaum ein anderer für die Veränderungen im Verhältnis zwischen Frauen und Männern im Laufe der vergangenen Jahrzehnte. Während in der noch jungen Bundesrepublik bis 1958 der Ehemann zustimmen musste, wenn seine Frau arbeiten wollte, hat sich die promovierte Diplom-Volkswirtin Julia Dingwort-Nusseck durchgeboxt - sie hat berufliche Höhen erklommen, die zuvor noch keine Frau erreicht hatte.

"Das mag jetzt zynisch klingen, aber ich war eine Kriegsgewinnerin", sagt sie. "Während meine gleichaltrigen Kollegen Soldat spielen mussten, habe ich bereits promoviert." Journalistin zu werden war schon immer ihr Wunsch. "Ein Bekannter sagte mir, beim Radio Hamburg, also dem Vorläufer des heutigen NDR, nehmen sie derzeit alles, was politisch unbelastet ist und eine Fachausbildung hat." Die junge Frau bewarb sich und kam gut an. "Mädchen, Sie können ja schreiben", meinte ein Vorgesetzter vom Sender, der bald darauf Nordwestdeutscher Rundfunk hieß. Julia Dingwort-Nusseck kam natürlich zum Frauenfunk. Ein anderes Ressort konnten sich die Leitenden damals für Journalistinnen kaum vorstellen. Der dortige Chef war übrigens Karl-Eduard von Schnitzler, der später Moderater des "Schwarzen Kanals" im DDR-Fernsehen wurde.

Ihr Gastspiel dort war glücklicherweise überschaubar. Sie wechselte bald in die Wirtschaftsredaktion - für damalige Verhältnisse war dies ein ungeheuerlicher Schritt für eine Frau. So kam es auch, dass ihr journalistisches Vorbild Peter von Zahn das "Fräulein Nusseck" gegenüber den britischen Besatzungsoffizieren als ältere Dame beschrieb, die vor dem Krieg von ihren Dividenden lebte und nun einige Wirtschaftsmeldungen schreibt, um Geld zu verdienen. Eine junge Frau in diesem Ressort wäre damals wohl nicht durchgegangen.

Wie steinig ihr Weg werden könnte, zeigte sich bereits, als sie ihre selbst recherchierten Wirtschaftsnachrichten im Radio nicht sprechen durfte. Ein Schauspieler wurde engagiert, statt Julia Nusseck, wie sie damals noch hieß, verstanden die Hörer vermutlich den Namen Julian Usseck. "Die Verantwortlichen im Sender dachten wohl, eine Frau wird nicht ernst genommen, wenn sie über die Wirtschaft spricht", sagte sie. Doch dann wurde der Sprecher plötzlich krank - und Julia Dingwort-Nusseck trug ihre Texte selbst vor. Aufgeregt darüber haben sich die Hörer kaum, nur die damalige Zeitung "Hamburger Freie Presse" hat das "Ungeheuerliche" thematisiert. Danach fühlte sich Julia Dingwort-Nusseck wieder als "Gewinnlerin". Ihr Vorgesetzter wurde wegen seiner politischen Vergangenheit abgesetzt. Sie übernahm als erste Frau das Wirtschaftsressort. Einige Kollegen empfanden dies wohl als unzumutbar. "Um mich herum gab es nur Männer. Einige warteten wohl darauf, dass ich mir einen Fauxpas erlaube." So weit ist es aber niemals gekommen. 1951 heiratete sie ihren Mann Carl-Wolfgang Dingwort, einen Drucker und Verleger.

1969 wurde sie stellvertretende Chefredakteurin beim Westdeutschen Rundfunk, 1973 dann sogar dessen Chefredakteurin. Julia Dingwort-Nusseck hat durch ihren Erfolg vielen Frauen einen Weg in neue berufliche Bereiche geebnet. Als radikale Vorkämpferin für die Emanzipation fühlt sie sich allerdings nicht, eher als Wegbereiterin für andere Frauen. Ende der 60er-Jahre trat sie sogar der damals konservativen CDU bei. "Es war bekannt, dass ich konservativ-liberal bin." Im damals als Rotfunk bezeichneten WDR kam dies nicht gut an. Einmal gab es sogar eine Redakteursversammlung, weil sie die Ausstrahlung eines Films verhindern wollte, in dem die Terroristengruppe Baader-Meinhof verherrlicht wurde. Sie hat sich durchgesetzt. Doch noch immer stand die Frau, die unter anderem den Publikumspreis der "Goldenen Kamera" gewonnen hat, im Fokus der männlichen Medienkollegen. "Einmal erlaubte ich mir einen Versprecher. Wir zeichneten einen Kommentar auf, der unterbrochen werden musste. Daraufhin ist mir das Wort 'Mist' herausgerutscht. Das wurde am Anfang des Kommentars nicht herausgestrichen und ich, die immer die Fäkalsprache etwa bei meinen drei Kindern bekämpfte, wurde von den Medien gescholten. Eine Zeitung schrieb: "Die Fernsehlady sprach nicht ladylike."

Die Hamburgerin ist mit jeder Herausforderung, die sie in der Männerwelt erlebt hat, gewachsen. Allerdings hat sie dies viel Kraft gekostet, zumal sie auch die Kinder großziehen wollte. So auch im Jahr 1976, als der niedersächsische Finanzminister Walther Leisler Kiep Julia Dingwort-Nusseck als niedersächsische Landeszentralbankpräsidentin rufen wollte. "Warum ausgerechnet die?", meckerte der "Spiegel" damals und schüttete Häme über die WDR-Chefin. Auch der Zentralbankrat der Bundesbank lehnte sie mit zehn zu sechs Stimmen ab. Das lag wohl auch daran, dass sie sich dem Gremium nicht vorstellen konnte, da sie mit ihrem Mann anlässlich der Silberhochzeit auf Reisen war. Am 1. Oktober 1976 wurde sie dennoch als erste Frau niedersächsische Landeszentralbankpräsidentin. Erst 1988 schied sie aus dem Gremium aus, nachdem sie zuvor einmal wiedergewählt wurde. Diesmal verweigerte ihr der Zentralbankrat die Stimme nicht. Danach hätte sich die agile Frau in den Ruhestand zurückziehen können. Doch dafür fühlte sie sich zu jung. Sie wurde unter anderem zweimal Verwaltungsratsvorsitzende des NDR und bis 1999 zweite Vorsitzende des Bundesverbands Deutscher Stiftungen, danach Ehrenmitglied.

Auch heute, mit 91 Jahren, ist Deutschlands wohl erste "Karrierefrau" noch aktiv. Zum Beispiel bei Zonta, einem weltweiten Zusammenschluss berufstätiger Frauen in verantwortungsvollen Positionen, die sich dafür einsetzen, die Lebenssituation von Frauen zu verbessern (siehe Beistück). Von der Frauenquote hält sie übrigens nichts. "Ich wollte nie eine Alibifrau sein", sagt sie. Jungen Frauen rät sie, in Karrierefragen nicht zu ängstlich zu sein und sich wie die Männer nach vorne zu drängen. "Gedanken wie 'Ich bin ja eine graue Maus, ich kann das nicht' sind fehl am Platz. Zum Glück trauen sich Frauen heute schon mehr zu." Ihr bestes Rezept zu mehr Gleichberechtigung im Job: "Wir müssen den Männern mehr Selbstbewusstsein vermitteln. Denn selbstbewusste Männer haben keine Angst vor Frauen."