Christoph Hildebrand arbeitet in einem typisch weiblichen Beruf - als Zahnarzthelfer. Noch immer gelten in vielen Jobs die alten Rollenklischees

Hamburg. Christoph Hildebrand wird in der Zahnarztpraxis in Bergedorf oft erst einige Sekunden beäugt, und dann kann so mancher Patient seine Neugier nicht mehr beherrschen. "Wie lange arbeiten Sie denn hier schon?", fragen die Leute am Empfang. Einige wollen wissen, wann er mit dem Medizinstudium beginnt, andere wundern sich, warum er mit so wenig Gehalt auskommen will. Hildebrand ist ein Exot unter Frauen, er macht eine Ausbildung zum zahnmedizinischen Fachangestellten, früher Zahnarzthelfer genannt.

"Man muss damit klarkommen, oft im Mittelpunkt zu stehen", lacht der blonde schlaksige Mann und greift mit schmalen Fingern nach der Kaffeetasse. Durch eine Freundin seiner Mutter sei er in den Job hereingerutscht. Eigentlich habe er etwas im Einzelhandel lernen wollen, hatte schon Bewerbungen an Karstadt und andere Häuser laufen, aber ein Probetag mit der Bekannten in deren Praxis habe ihn umgestimmt. "Wir haben uns vom Wochenende erzählt, waren direkt alle wie eine kleine Familie", schwärmt Hildebrand. Auch privat ist er gern unter Menschen, sitzt am liebsten mit Freunden im Café. "Ich habe wirklich meinen Traumberuf gefunden, es war Liebe auf den ersten Blick", erzählt er strahlend.

Auch in einer Welt, in der die Grenzen zwischen den Geschlechtern zunehmend verschwimmen, in der Frauen Fußball spielen und Männer zum Babyschwimmen mitgehen, ist Hildebrand mit der Wahl seines Jobs dennoch eine Ausnahmeerscheinung. Von 600 Auszubildenden in dem Beruf haben in Hamburg nur acht Männer diesen Weg eingeschlagen. "Es ist für viele Männer eben immer noch wichtig, einen Beruf mit männlicher Ausstrahlung zu haben", meint Bettina Schmalmack, Ausbildungsberaterin bei der Hamburger Zahnärztekammer. So sei der Industriemechaniker bei Männern besser angesehen als ein Job in sozialen Berufen.

"Es herrscht nach wie vor ein dominantes Männlichkeitsbild", ergänzt Christina Klenner, Geschlechterforscherin beim Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut (WSI) in Düsseldorf. Und es gelte nach wie vor, dass Männer lieber mit Maschinen arbeiten als mit Menschen. Und dass sie helfende oder assistierende Berufe meistens eher meiden.

So gibt es immer noch die klassischen Frauen- und Männerberufe, wie sie auch am heutigen Internationalen Frauentag immer wieder diskutiert werden. Nach aktuellen Zahlen beschränkt sich der Frauenanteil bei den Ingenieurstudenten im Fach Maschinenbau immer noch auf gerade 19 Prozent, in der Elektrotechnik liegt der Anteil nur bei 13 Prozent. Nur vier von 1000 Maurern sind Frauen. Gleichzeitig hat sich der Frauenanteil bei Lehrern sogar weiter erhöht. Waren vor 20 Jahren 61 Prozent der Lehrkräfte an Schulen weiblich, beträgt ihr Anteil heute sogar mehr als 70 Prozent. Auch in medizinischen Berufen hat sich die Frauenquote kontinuierlich erhöht: In den vergangenen zwei Jahrzehnten legte der Anteil von weiblichen Ärzten von 34 auf 43 Prozent zu. In der Praxis auf St. Pauli, in der Hildebrand seine Ausbildung begonnen hat, war er denn auch der einzige Mann: Auch "sein Chef" war eine Frau. Die Zahnärztin nannte ihn scherzhaft "mein kleines Accessoire am Empfang".

In der Berufsschule ist das Bild ähnlich. Viele Klassen der Zahnarzthelfer bestehen ausschließlich aus Schülerinnen, und Hildebrand muss damit klarkommen, morgens vom Lehrer mit einem "Guten Tag, meine Damen" begrüßt zu werden. Zwei männliche Kollegen hat Hildebrand dort zwar, aber die seien bestimmt nur aus Zufall dort reingerutscht und "eher robustere" Typen, schätzt er. Eher junge Männer, die er sich auch in einer Kfz-Werkstatt vorstellen könne. Sein Fall sei das nicht.

Er habe nie Fußball gespielt, interessiere sich kaum für Autos und sei schon immer ein Mensch gewesen, der sich um andere kümmert: Auf seinen kleinen Bruder habe er als Babysitter aufgepasst. Später arbeitete er als Praktikant in einem Kindergarten. "Natürlich darf man als Zahnarzthelfer nicht der Macho sein, der am liebsten auf Autos rumhämmert, da ist eben eher Mitgefühl mit den Patienten und Feingefühl im Umgang gefragt", sagt der junge Mann, der bei seinen Eltern in Wandsbek wohnt. Diese hätten ihn bei seinem Berufswunsch unterstützt: Die Mutter, eine Altenpflegerin, sei sofort begeistert gewesen, der Vater, ein Elektriker, habe ihn zwar einen Tag mal mitgenommen, aber dann eingesehen, dass er in diesem Umfeld etwas fehl am Platz gewesen wäre.

Das Gehalt ist Hildebrands einziger Wermutstropfen. "Ich hatte mich anfangs damit gar nicht so beschäftigt", gibt er zu. Um die 1600 Euro brutto wird er nach der Ausbildung im Monat bekommen. Eine Kollegin suche gerade nach der ersten eigenen Wohnung, "da reicht das Gehalt kaum".

Der geringe Verdienst ist typisch für Frauenberufe. Friseurinnen oder Kassiererinnen müssen oft "aufstocken", also staatliche Hilfe zusätzlich zum Lohn in Anspruch nehmen, um überhaupt existieren zu können. Das Fatale: Die Hälfte der erwerbstätigen Frauen arbeitet in typisch weiblichen Berufen. "Vielfach handelt es sich um Tätigkeiten, die vor 50, 100 Jahren noch gar nicht bezahlt waren, die von Ehefrauen und Dienstboten übernommen wurden", sagt Geschlechterforscherin Christina Klenner. Tätigkeiten wie Sozialfürsorge und Krankenpflege seien dann zu Berufen geworden. Aber unter der Annahme, dass Frauen nicht ein so hohes Einkommen benötigen. "Männer nehmen dann davon Abstand, weil sie sich nach wie vor in der Rolle des Ernährers sehen", sagt Klenner, obgleich heute natürlich mehr und mehr Haushalte mit Doppelverdienern zur Realität werden. "Auch Frauen sollten sich im Grunde bei der Wahl dieser Berufe zurückhalten, damit die Gesellschaft endlich aufwacht."

Über alle Berufe hinweg erhalten Frauen in Deutschland im Schnitt 22 Prozent weniger Gehalt als Männer, das ist das drittschlechteste Verhältnis im Vergleich der OECD. Im Alter wächst der Unterschied noch an: In Deutschland müssen Frauen im Durchschnitt mit nur halb so viel Rente wie Männer auskommen. Auch die Steuer- und Sozialgesetzgebung in Deutschland führt dazu, dass sich das Gehalt der Frau oft gar nicht rechnet: Befördert wird dies etwa vom Ehegattensplitting und dem Betreuungsgeld. Aber nicht nur die Bedingungen für Frauen mit Kindern sind im Arbeitsleben und in der Gesellschaft oft problematisch. Beschränkt sind auch die Aufstiegsmöglichkeiten in typisch weiblichen Berufen, bei Krankenschwestern beispielsweise oder im Bereich Raumpflege.

Hildebrand ist zwar erst 19, denkt aber ebenfalls schon an seine Zukunft, an sein späteres Leben: "Vielleicht komme ich mit dem Gehalt nicht hin, oder ich will mich weiterentwickeln", überlegt er laut. Das Abi nachholen und selber Zahnmedizin studieren sind für ihn ein paar Schritte zu viel, so weit will er nicht denken. "Aber Fortbildungen machen und zu einer Krankenkasse wechseln wäre schon eine Alternative, um mehr Geld zu verdienen." Aber ob er damit glücklich werden könnte? Hildebrand verzieht das Gesicht: "Dann würde ich doch meine zweite Familie verlassen müssen."