Gerichtsentscheid zu Netze-Rückkauf zeigt: Hamburg muss Volksgesetzgebung präzisieren

Selten war ein Urteil des Hamburgischen Verfassungsgerichts so absehbar, weil unausweichlich, wie dieses: Die neun Richter haben die Klage der CDU-Bürgerschaftsfraktion gegen die Durchführung des Volksentscheids zum Rückkauf der Energienetze abgewiesen und damit den Weg für die Abstimmung des Volkes am 22. September frei gemacht.

Sieg und Niederlage sind klar verteilt: Gewonnen hat die Initiative "Unser Hamburg - unser Netz", die ihren Weg zum Volksentscheid nun weitergehen kann. Verloren hat die CDU-Opposition - und zwar auf ganzer Linie. Ohne Not sind die Christdemokraten vor den Kadi gezogen. Im Erfolgsfalle hätte die Opposition nur für die im Rathaus allein regierende SPD, deren Energiepolitik ja in Wahrheit auf dem Prüfstand steht, die Kastanien aus dem Feuer geholt. Dass die Union aus staatsbürgerlicher Verantwortung das Verfassungsgericht angerufen hat, wie CDU-Bürgerschafts-Fraktionschef Dietrich Wersich gern betont, ist ehrenwert, zählt im politischen Wettbewerb aber eher wenig.

Damit nicht genug: Die CDU hat sich auch eine juristische Abfuhr erster Klasse abgeholt. Das Gericht hat die Klage nicht einmal inhaltlich beraten, sondern aus formalen Gründen abgelehnt. Die Frist zur Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit einer Volksinitiative war längst verstrichen - sie endete schon am 20. Januar 2011. Damals regierte übrigens die CDU, bis kurz zuvor noch zusammen mit den Grünen. Der Senat hätte eine Klage gegen die Netze-Initiative einreichen können. Er tat es ebenso wenig wie die damals oppositionelle SPD.

Die aktuelle Entscheidung ist zwar klar, aber das Verfassungsgericht hat, pardon, den einfachsten Weg gewählt. Es ist der inhaltlichen Betrachtung des Falls, der es durchaus in sich hat, schlicht ausgewichen. Einmal angenommen, die Hamburger entscheiden sich beim Volksentscheid am 22. September für den kompletten Rückkauf der Strom-, Gas- und Fernwärmenetze, dann können auf die Stadt zunächst einmal Kosten in Höhe von 1,5 Milliarden Euro zukommen. Dürfen die Bürger solche Entscheidungen treffen, ohne die finanziellen Folgen zu bedenken? Ist es nicht ein Gebot der Fairness, vor der Abstimmung zu sagen, woher das Geld kommen soll? Die Initiative "Unser Hamburg - unser Netz" geht zwar davon aus, dass sich das "Geschäft" am Ende für die Stadt lohnt, aber wer will das heute mit Sicherheit beurteilen?

Zweiter Punkt: Der Wortlaut des Volksentscheids fordert Senat und Bürgerschaft auf, "fristgerecht alle notwendigen und zulässigen Schritte" zu unternehmen, um die Netze wieder in den vollständigen Besitz der Stadt zu bekommen. Was aber, wenn die Energieversorger Vattenfall und E.on nicht verkaufen wollen? Jahrelange rechtliche Auseinandersetzungen könnten die Folge sein.

Am Ende könnten Senat und Bürgerschaft mit dem Versuch einer Rekommunalisierung von Kabeln und Rohren scheitern. Mit diesem Ergebnis wäre der direkten Demokratie ein Bärendienst erwiesen. Das Volk hätte der Politik einen Auftrag erteilt, den die nicht umsetzen kann. Das Vertrauen in die demokratischen Institutionen einschließlich ihrer plebiszitären Elemente und deren Glaubwürdigkeit kann das nicht stärken.

Das sind alles Gründe für eine präzisierende Weiterentwicklung der Volksgesetzgebung. Hamburg ist bundesweit Spitzenreiter, was Plebiszite angeht. Schön. Aber so wie es für die Bürgerbegehren in den Bezirken inzwischen klar abgegrenzte Regeln gibt, sind Festlegungen auch für Volksentscheide dringend nötig: Sie betreffen die Inhalte der Abstimmungen ebenso wie den finanziellen Rahmen.

Das Verfassungsgericht hat sich der sicherlich mühsamen Normierung mit dem Hinweis auf den Gesetzgeber, also die Bürgerschaft, vorerst entzogen. Jetzt ist die Politik gefragt.