Sie war als HSV-Vorstand die mächtigste Frau im deutschen Fußball-Geschäft. Dann kam das Aus. Jetzt hat sie ein Buch über Erfolg und Scheitern geschrieben

Hamburg. Im März 2003 war ihr Amtsantritt eine kleine Sensation. Mit der Übernahme des Vorstandsamtes beim HSV brach sie in eine Männerdomäne ein. Acht Jahre später endete ihre Ära mit der vorzeitigen Trennung. Jetzt hat Katja Kraus, 42, ein Buch geschrieben. Darin erzählen Prominente wie Hartmut Mehdorn, Ole von Beust, Ron Sommer, Andrea Ypsilanti, Roland Koch und Sven Hannawald ihre sehr persönlichen Geschichten von Erfolg und Scheitern. Am 18. März (20 Uhr, Abaton-Kino) wird sie mit dem ehemaligen Ministerpräsidenten Schleswig-Holsteins, Björn Engholm, ihr Buch vorstellen. Im Abendblatt spricht Katja Kraus über ihre eigenen Erfahrungen.

Hamburger Abendblatt: Frau Kraus, in Ihrem Buch beschreiben Sie den Tag nach dem Aus beim HSV. Am Abend klopfen Sie in einem Hotel an der Ostsee an der Tür des Nachbarzimmers, um nach Zahnpasta zu fragen. Aber es öffnet niemand. Das Kapitel endet mit den Worten "und öffnete damit alle Schleusen".

Katja Kraus: Ein durchgängiges Motiv dieses Buches ist der Augenblick der ungetrübten Erkenntnis. In diesem Moment, mit all seiner Symbolkraft, habe ich die Schmerzen gefühlt und die Tränen geweint, die ich in der Zeit zuvor, in der Funktionieren extrem wichtig war, nicht zugelassen habe.

Haben Sie die Trennung überwunden?

Kraus: Mein Glück war, dass ich sofort wusste, was ich tun möchte. Ich habe mich mit einem Projekt beschäftigt, das in meinem Kopf schon lange gewachsen ist, und mich dabei ins Schreiben verliebt. Deshalb bin ich sehr zufrieden damit, wie sich meine Leben gestaltet hat. Aber klar gibt es auch Momente, in denen ich wehmütig bin und denke, diese Entscheidung hätte ich jetzt gerne getroffen, oder da wäre ich gerne dabei gewesen. Ich bin aber überzeugt, dass das für alle Dinge gilt, die man gerne gemacht hat.

Haben Sie auch mal über eine komplette Arbeitsauszeit nachgedacht?

Kraus: Nein, dazu habe ich zu viele Ideen in mir. Ich habe in den zwei Jahren seither keinen einzigen Tag einfach mal auf dem Sofa verbracht und ein Buch gelesen. Das stelle ich manchmal schon fast erschreckt fest.

War das Schreiben für Sie eine Form der Trauerarbeit?

Kraus: Es ist in jedem Fall eine Innenreise und eine Form des Zurruhekommens. Schreiben ist aber auch sehr einsam. Und ich war viele Jahre überhaupt nie allein. Deshalb habe ich in dieser Phase der Reduzierung auf mich selbst ganz viele spannende Entdeckungsmomente gehabt.

Gehen Sie eigentlich noch zu HSV-Spielen ins Stadion?

Kraus: Ja, fast immer, ich schaue einfach sehr gerne Fußball.

Meiden Sie dann bestimmte Leute von damals?

Kraus: Ich habe grundsätzlich keinen Hang zu Ressentiments, aber tatsächlich hat es in dieser Schlussphase Situationen mit Menschen gegeben, die nicht den Impuls auslösen, diesen Personen wieder begegnen zu wollen.

Wie spüren Sie den mit einem Machtverlust einhergehenden Bedeutungsverlust?

Kraus: Nicht in der direkten Begegnung mit Menschen. Aber eindeutig rufen weniger Menschen an, und ich bekomme weniger E-Mails als früher. Das war an manchen Tagen durchaus auch verunsichernd.

Woher kommt Ihr Streben nach Macht?

Kraus:Erst mal würde ich dem Begriff Machtstreben widersprechen. Macht ist eine Etikette, die eher von außen verliehen wird, als dass sie sich anfühlt. Aber es ist mir wichtig, gestalten zu können. Dazu gehört die Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen, Entscheidungen zu treffen und damit messbar zu sein. Das will gar nicht jeder. Hinzu kommt bei öffentlichen Aufgaben die ständige Bewertung, das muss man aushalten können. Ich habe in meiner Berufslaufbahn vieles gelernt und entwickelt, aber die Fähigkeit zur Führungsrolle ist wohl eher ein Persönlichkeitsmerkmal.

Sie waren als Spielerin Kapitänin ...

Kraus: Stimmt. Und es ist ja auch so, dass man als Torhüterin in einer Mannschaft eine exponierte Position hat. Ich bin von Herzen Mannschaftssportlerin, aber ich mag es schon auch, innerhalb eines Teams ein höheres Maß an Verantwortung zu tragen.

Wenn diese Gestaltungsdrang ein Wesenszug von Ihnen ist, wie kommen Sie dem dann gerade nach?

Kraus: Ich terrorisiere mein Umfeld und mache von morgens bis abends Ansagen (lacht). Nein, ich versuche tatsächlich, diesen Teil in mir zu bändigen. Aber man gewöhnt sich Attitüden an, die schwer wieder abzulegen sind, wenn man es gewohnt ist, die Richtung vorzugeben. Ich habe zum Beispiel am Anfang eine Weile gebraucht, bis ich meine Tage wieder aus dem Halbe-Stunden-Rhythmus lösen konnte, der früher meinen Tag vorgab. Ich musste auch lernen, dass ich jetzt bei Terminen nicht mehr mit meinem Erscheinen bestimme, wann sie beginnen und wann sie enden. Denn auch wenn ich nie zu Hause saß und dachte "heute habe ich mich mächtig gefühlt", ist es doch so, dass so eine Funktion viele Rollenmuster abverlangt. Auch dann, wenn man versucht, sehr nah bei sich zu bleiben.

Ist ein Machtverlust in der Öffentlichkeit schlimmer als einer im Verborgenen?

Kraus: Die Öffentlichkeit führt natürlich in allererster Linie dazu, dass man permanent darauf angesprochen wird. Deshalb suchen sich viele Menschen in einer solchen Situation einen Rückzugsort. Ich bin in Hamburg geblieben und wurde in den ersten Wochen beim Gang durch die Stadt häufig damit konfrontiert. Das war aber okay, weil die Menschen allesamt freundlich waren. Nun war es bei mir aber auch so, dass die mediale Aufmerksamkeit überschaubar war und dass mit der Nichtverlängerung des Vertrags keine grundsätzliche Disqualifikation meiner Leistung einherging. Ich hatte keinen sichtbaren Makel, außer dass ein paar Leute entschieden hatten, dass es besser ist, wenn jemand anderes den Verein managt. Wenn Menschen hingegen das Gefühl haben, in der gesamten Lebens- und Arbeitsleistung diskreditiert worden zu sein, oder schlimmer noch, in der persönlichen Integrität, ist das noch mal was ganz anderes.

Im Vorwort Ihres Buches stellen Sie viele Fragen. Haben Sie die Antworten dazu gefunden?

Kraus: In jedem Fall sind so viele neue Fragen aufgetaucht, dass ich sicher ein zweites Buch schreiben werde. Ich habe manche Fragen beantworten können, verstanden, dass es auf andere Fragen keine Antworten gibt, und erkannt, dass nichts eindeutig ist. Dieses Buch ist ein Plädoyer für Mitgefühl und Bewusstheit. Die prominenten Menschen, die ich für dieses Buch interviewt habe, sind Stellvertreter für uns alle. Jeder von uns erlebt Erfolg und Scheitern mit all den Begleiterscheinungen, im Großen und im Kleinen. Und ich würde mir wünschen, dass es eine größere Differenziertheit in der Bewertung solcher Fälle gäbe.