Eine Glosse von Jörn Lauterbach

Den Berufstätigen entgeht eine eigene Welt, ein Schattenreich immensen Ausmaßes. Denn wenn die Wohnung tagsüber verlassen ist, kalt und unaufgeräumt einfach nur eine Immobilie darstellt und keinen Lebensraum, dann verhallt die Türklingel im Nichts. Der Klingelnde zieht weiter, immer in der Hoffnung auf eine daheimgebliebene gute Seele, die ihm vielleicht doch öffnet. Wer jemals aus welchen schönen oder auch unangenehmen Gründen Wochen daheim verbracht hat, weiß, wovon hier gesprochen wird.

Am besten gefallen hat mir der junge Mann vom Arbeiter-Samariter-Bund. Der kleine bebrillte Ömmes teilte zunächst mit, in welch tollem Haus ich wohnen würde, die Nachbarn hätten alle schon gespendet. Weil sein Anliegen aber auch sehr gut sei, wie er befand: Der Zivildienst sei ja weggefallen, deswegen muss ein freiwilliger Hilfsdienst am Leben gehalten werden, das koste Geld, das nicht vorhanden sei, außer vielleicht in meinem Portemonnaie, wo es aber dem ASB nicht nutzen würde. Ich schickte ihn mit der Bemerkung fort, dass ich mein Spendenbudget schon ausgereizt hätte, was zumindest in Bezug auf Bargeld auch stimmte - das hatte eine halb blinde Postkartenverkäuferin bereits am Vormittag bekommen. Zum Abschied trat er rotverdächtig nach: "Die Not alter Menschen ist Ihnen dann wohl nicht so wichtig."

Im Laufe der Zeit trainierte ich das freundliche Abwimmeln an dem Mann von der Tiefkühllieferfirma, der immerhin einen Prospekt abgeben durfte, dafür aber eine falsche Telefonnummer für seine angekündigte Nachfrage erhielt. Und an der Drückerkolonne einer Telefonfirma, die mal eben an der Haustür meine Monatsabrechnung nach Einsparpotenzialen durchforsten wollte. Ich schickte religiös motivierte Klingler kalt lächelnd fort, und richtig dankbar war ich über jenen Mann, der tatsächlich immer noch Zeitschriften-Abos verkaufen wollte, weil er sonst zurück ins Gefängnis müsse. Ein Klassiker, der in keiner Sammlung fehlen darf. Nach einigen Wochen war ich der perfekt trainierte Neinsager, freundlich, aber bestimmt. Und jetzt weiß ich auch, wieso Mütter, die nicht berufstätig sind, so viel strikter und erfolgreicher in der Erziehung ihrer Kinder sind als berufstätige Männer. So leisten die Klingelgangster aus dem Schattenreich doch ihren Dienst an der Gesellschaft.