Die Kanzlerin weiß: Ideologie gewinnt keine Wahlen. Aber nicht alle in der CDU sehen das so

War das jetzt eine Wende zu viel? Nach Atomkraft-Wende, Wehrdienst-Wende, Hauptschul-Wende jetzt also auch noch die Wende bei der Anerkennung gleichgeschlechtlicher Ehen: Die Vorsitzende Angela Merkel und ihre CDU - das ist zunehmend auch die Geschichte einer Frau, die ihre Partei wie einen Bogen immer weiter von rechts nach links spannt. Am Ende könnte die Sehne aber auch reißen.

Es gibt zwei Veränderungen, an denen sich die CDU derzeit heftig reibt: der Wandel in der deutschen Politik. Und der Wandel der Regierungschefin zur Managerin.

Zu Punkt 1: Früher gab die Politik das Tempo vor. In den Zeiten des Kalten Krieges erklärten Diplomaten und Politiker die Welt. Die Werte der Parteien standen auch für Werte des demokratischen Systems des Westens, das es zu verteidigen galt. Und die Deutschen ließen sich grob in Arbeiter (SPD), Bürgertum (CDU), Unternehmer (FDP) einteilen, der Markt war aufgeteilt. Viele engagierten sich im Ortsverein ihrer Partei, das Private war politisch. Heute gibt die globalisierte Gesellschaft längst das Tempo vor. Und die Politik rennt oftmals hinterher. Der Wohlstand der Bürger und der Frieden in Europa ließen Themen wie Sexualität, Gleichberechtigung und Verbraucherschutz in den Vordergrund treten. Die Parteien sollen heute auch den gesetzlichen Rahmen für Individualität setzen - und sich bloß nicht zu sehr in die Lebenswelten der Menschen einmischen. Die CDU tut sich mit der Lebensfreude vieler Wähler schwer. Die Folge: Ein großer Teil der Partei öffnet dem liberalen und hedonistischen Weltgeist die Tür, der andere Teil sperrt sich mit christlich-konservativer Kraft dagegen.

Anders gesagt: Der klassische Politiker der Bonner Republik, der in Deutschland geborene, heterosexuelle Ehemann, ist in Bedrängnis. Vor allem in der CDU. Die für Deutschland wichtige Zuwanderung bringt die Themen von Migranten auf die Agenda. Oft sind es Kinder von Gastarbeitern, die mehr Rechte für Ausländer einfordern (nicht gerade die Stärke der Union).

Und auch der Aufstieg der Frauen spiegelt sich scharf in der Politik: Ursula von der Leyen, Katrin Göring-Eckardt, Hannelore Kraft - und Angela Merkel als Kanzlerin. Themen wie Kita-Plätze, Frauenquote oder Lohngleichheit der Geschlechter bekommen neues Gewicht. Für die Politikerinnen geht es um Selbstverwirklichung. Sie sind selbst Produkt einer Gesellschaft im Wandel. Und sie erhöhen in der CDU das Tempo. Die Politiker-Männer werden müde. Für Merkel gehört zur eigenen Verwirklichung auch die politische Macht. Für sie geht es nicht nur um eine weitere Kanzlerschaft, sondern um eine "Ära Merkel". Sie ist da sehr männlich.

Damit zu Punkt 2: Merkel hat den Wandel der Politik verstanden - und nutzt ihn für ihren Machterhalt. Sie weiß: Mit Ideologie gewinnt man keine Wahlen mehr (siehe Punkt 1). Erfolgreiche Politik ist vor allem Themenmanagement. Also geht es für Merkel darum, Themen zu besetzen - wie ein Unternehmen, das seine Geschäftsbereiche ausdehnt: So wie Lebensmittel-Discounter Flugreisen anbieten, bietet die Merkel-CDU nun auch die Homo-Ehe an. Wer das beste Angebot zwischen Großstadt, Land, Rentnern, Studenten, Homosexuellen und Ehefrauen macht, gewinnt die Wahl. Die Union rückt nach links, drängt die SPD in die Ecke - Merkel öffnet auf der rechten Seite Raum für die FDP. Die Liberalen erhalten eine Marktlücke. Die CDU kann nach Mindestlohn- und Miet-Wende die Nachfrage im Unternehmer-Milieu nicht mehr befriedigen. Die FDP punktet - und Merkel regiert mit Schwarz-Gelb.

So kalkuliert jedenfalls die Managerin Merkel. Doch der Protest gegen den Wandel der CDU unter ihrer Führung nimmt zu. Vielleicht hat sie die Rechnung doch zu sehr ohne die Ideologen in der Union gemacht.