Senkung des Wahlalters auf 16 Jahre ist richtig - aber nutzen Jugendliche ihr Recht?

Die Demokratie auf deutschem Boden darf knapp 64 Jahre nach Gründung der Bundesrepublik insgesamt als stabil und gefestigt angesehen werden. Extreme und extremistische Positionen haben sich seit 1949 stets als vorübergehende oder regional begrenzte Phänomene erwiesen. Letzteres ist - siehe etwa NPD und Mecklenburg-Vorpommern - allerdings schlimm genug.

Das politische System ist zudem entwicklungsfähig gewesen und hat zum Beispiel auf veränderte Bedürfnisse und Ansprüche der Partizipation reagiert: Das gilt für den Ausbau der direkten Demokratie, also die Einführung plebiszitärer Elemente als Ergänzung des parlamentarischen Systems.

Wer sich mit dem Zustand der Demokratie beschäftigt, kann trotzdem einige bedenkliche, ja stark besorgniserregende Tendenzen nicht ausblenden. Dazu zählt mit Sicherheit die dauerhafte Wahlabstinenz eines großen und eher wachsenden Teils der Bevölkerung. Die Gründe dafür sind vielfältig. Sie haben mit verpassten oder nie gewährten Lebenschancen zu tun, aber auch mit Geringschätzung und Desinteresse gegenüber den demokratischen Institutionen.

Weil es schwierig ist, Erwachsene von einmal gefassten Positionen abzubringen, erscheint es umso wichtiger, junge Menschen von Beginn an für die Gestaltungsmöglichkeiten zu begeistern, die die funktionierende Demokratie nun einmal bietet. Ein solches Engagement ist bei Einzelfragen etwa des Umweltschutzes durchaus zu beobachten. Es deutet aber einiges darauf hin, dass das Interesse Jugendlicher und junger Erwachsener an der allgemeinen politischen Debatte, am auch zugespitzten Streit eher abgenommen hat. Der jüngsten Abendblatt-Umfrage zur politischen Stimmung in der Stadt lässt sich entnehmen, dass gerade junge Wähler besonders schlecht informiert sind. Ihnen sagen die Namen der Senatoren und Oppositionspolitiker deutlich weniger als ihren älteren Mitbürgern.

Die Absenkung des Wahlalters auf 16 Jahre, die die Hamburgische Bürgerschaft beschließen will, kann einen wichtigen Beitrag dazu leisten, die Chancen der demokratischen Beteiligung zu erkennen. Allerdings ist es mit der Gesetzesänderung allein nicht getan. Entscheidend ist zweierlei: Die Juniorwahl kann erstens nur dann zum Erfolgsmodell werden, wenn die Schulen die Absenkung des Wahlalters als Herausforderung annehmen. Das politische System des Stadtstaats muss besonders vor den Wahlen in den entsprechenden Klassen Gegenstand im Unterricht sein. Es gibt ermutigende Beispiele: Klassen laden Politiker ein, um mit ihnen zu diskutieren. In Planspielen lassen sich die unterschiedlichen Positionen der Parteien darstellen. Und sicher würde auch ein Besuch des Rathauses nicht schaden. Zweitens sind die Parteien gefordert, sich stärker als bisher jungen Menschen zu öffnen.

Die prinzipiellen Bedenken gegen die Juniorwahl halten der eingehenden Überprüfung nicht stand. Die heutigen 16- und 17-Jährigen bewegen sich sehr viel selbstständiger durchs Leben, als es vor 50 oder gar 100 Jahren der Fall war. Ihnen ist politische Urteilsfähigkeit im Prinzip sehr wohl zuzutrauen. Es ist auch nicht zwingend geboten, dass parallel das passive Wahlalter abgesenkt wird. Das kann ein weiterer Schritt sein.

Allerdings muss es als Manko betrachtet werden, dass es keine verlässlichen Zahlen über eine stärkere Beteiligung junger Wähler infolge der Absenkung des Wahlalters gibt. In Bremen, Vorreiter der Juniorwahl, war lediglich ein leichter Anstieg in der Gruppe der bis 21-Jährigen zu verzeichnen. Spürbare Erfolge werden vermutlich ohnehin erst langfristig zu erzielen sein. Angesichts eines stabilen politischen Gesamtsystems sollten wir das Experiment Juniorwahl wagen und die Ergebnisse nüchtern wägen.