Eine Woche ohne Handy? Kein Problem, dachte die Autorin - bis die Entzugserscheinungen einsetzten. Es ist die Macht der Gewohnheit.

Neustadt. Die siebenwöchige Fastenzeit, die heute beginnt, nutzt das Hamburger Abendblatt für eine Serie: Sieben Tage lang verzichtet jeweils ein anderer Autor auf etwas, das ihm wichtig ist.

In Folge 1 hat sich die Autorin ein Smartphone-Verbot auferlegt.

Die Krise kommt am zweiten Abend. Ich schleiche um das Smartphone herum, das mit Absicht ganz hinten auf dem Kühlschrank liegt. Ich will nur einmal nachschauen, ob neue E-Mails gekommen sind. Es ist erst zwei Stunden her, dass ich am Computer im Büro mein Mailfach kontrolliert habe. Was also soll in der Zwischenzeit passiert sein? Am Abend? Was aber, wenn doch eine wichtige Nachricht gekommen ist? Etwas, auf das ich sofort reagieren muss. Aber was sollte das sein? Ich wandere ins Wohnzimmer, komme zurück. Mein Smartphone liegt immer noch da, dunkel und wie tot. Nur einmal nachschauen? Ich widerstehe der Versuchung.

Die bahnbrechende Technik, die uns Apple-Gründer Steve Jobs beschert hat, ist ein Segen, der sich manchmal wie ein Fluch anfühlt. Wir sind immer erreichbar - für Anrufe, für E-Mails, für Kurznachrichten. Jederzeit bereit zu reagieren, zu intervenieren, zu kommunizieren. Das heißt auch: Wir schalten nie ab. Oft nicht einmal im Urlaub.

Doch das soll sich bei mir ändern, zumindest für eine Woche. Ich will ausprobieren, wie es sich ohne Smartphone lebt. Das ist jetzt vielleicht keine furchtbare Entbehrung, aber mit einem Job, zwei Kindern, Mann, Freunden und Haushalt, die miteinander vereinbart werden müssen, auch nicht ganz einfach. Und eine interessante Erfahrung allemal, denn bald merke ich, dass es vor allem die Macht der Gewohnheit ist, die es zu bezwingen gilt.

Auf jeden Fall spielt das Smartphone in dieser Woche eine ebenso große Rolle wie sonst - mindestens. Sicher zwei Dutzend Mal am Tag habe ich den Impuls, danach zu greifen. Das erste Mal morgens auf dem Weg in die Redaktion, wenn ich sonst schon mal meine Mails angucke, um mich auf den Tag einzustimmen. Geht nicht. Dann eben kurz der Freundin eine Kurznachricht senden und fragen, wann genau wir für den Abend verabredet sind. Geht auch nicht. Ich könnte sie natürlich auch anrufen und persönlich mit ihr sprechen. Aber dazu bräuchte ich ja auch mein Handy, wie mir wieder einfällt.

Tagsüber in der Redaktion komme ich ganz gut klar. Zwischen meinem Mailfach und dem Telefon fühle ich mich ausreichend vernetzt. Ich bekomme zwar hin und wieder eine Nachricht, in der es in vorwurfsvollem Ton heißt: "Ich habe vergeblich versucht, Sie mobil zu erreichen!" Aber damit muss ich leben - in dieser Woche zumindest.

Das Smartphone hat die Kommunikation ohne Zweifel revolutioniert. Interessanterweise sorgt es zwar dafür, dass wir alle ständig miteinander verbunden sind, auf der anderen Seite aber viel weniger direkt miteinander Kontakt aufnehmen. Anstatt zum Kollegen zwei Büros weiter hinüberzulaufen, bekommt er schnell eine Mail. Und statt eines Telefonats, bei dem man auch noch Höflichkeitsfloskeln austauschen und sich nach dem letzten Urlaub erkundigen muss, folgt eine Kurznachricht: "Wollen wir nicht Freitag ins Kino gehen?" "Bring doch bitte Brot aus dem Supermarkt mit." "Komme später, finde keinen Parkplatz."

Das ist ohne Zweifel praktisch. Man kann einen Teil seiner Arbeit unterwegs erledigen, ist immer informiert, immer im Film. Es gibt ein Netz aus Verbindung, das fast nie reißt. Aber wehe, wenn doch!

Die nächste Krise folgt ein paar Tage später, an meinem freien Tag. Ich habe versprochen, meine Tochter von der Schule abzuholen. Ohne mein Smartphone erreicht mich ihre Nachricht, dass die letzte Schulstunde ausfällt, nicht. Schließlich ruft sie mich auf dem Festnetz an. Ich springe ins Auto und fahre los - mitten hinein in einen dicken Stau. Meine Versuche, ihn zu umfahren, machen alles nur noch schlimmer. Hinter meinem Steuer werde ich immer aufgeregter. Das fehlende Handy schmerzt fast schon körperlich, wie Entzugserscheinungen. Wenn ich meiner Tochter, die nun seit einer Stunde vor der Schule wartet, doch nur sagen könnte, dass ich auf dem Weg bin und sie sich keine Sorgen machen soll. Schweiß läuft mir den Rücken herunter. Als ich endlich im Laufschritt das letzte Stück zur Schule nehme, sind wir beide ziemlich aufgelöst - meine Tochter und ich auch.

Eigentlich bin ich gar nicht der Typ, der immer das neue Handy-Modell haben muss. Technische Revolutionen erreichen mich in der Regel mit mehrjähriger Verspätung. Über den Kollegen, der sich beim Mittagessen in der Kantine gern mal aus dem Gespräch zurückzieht, sein Smartphone zückt und minutenlang seine Mails checkt, habe ich mich immer geärgert. So was von unhöflich.

Und die Managertypen, die sich in einem gemeinsamen Seminar nicht einmal eine Viertelstunde aufs Thema konzentrieren können, sondern wie beiläufig und nur wenig verschämt unterm Tisch durch die letzten Nachrichten scrollen, die habe ich immer eher bedauert. Ganz im Ernst: Was kann so wichtig sein, als dass es nicht zwei Stunden bis zur nächsten Kaffeepause warten kann?

Und plötzlich erwische ich mich dabei, dass ich selbst unruhig werde, wenn ich länger als eine Stunde keinen Kontakt zur Außenwelt aufgenommen habe. In einer Diskussion nicht mal eben schnell bei Wikipedia nachschauen kann, wann genau der Vietnamkrieg begann. Mich von meinem Smartphone rechtzeitig nicht an den vereinbarten Arzttermin erinnern lasse. Wie, frage ich mich, haben wir das eigentlich früher gemacht?

Meine Lieblingsszene ist die, die sich in der Silvesternacht vor unserem Haus abspielte. Etwa 20 Jugendliche hatten sich an der Straße versammelt. Es war wenige Minuten nach Mitternacht - der perfekte Moment für eine ausgelassene Party. Und was taten die Jugendlichen stattdessen? Einen Plastikbecher Sekt hielt jeder von ihnen in der einen Hand - und in der anderen das Smartphone, um Gott und der Welt ein frohes neues Jahr zu wünschen. Ja, die Jugendlichen feierten - nur nicht miteinander.

Was ich manchmal für Wichtigtuerei gehalten habe, hat in Wahrheit viel von einer Sucht, vergleichbar mit der nach Zigaretten. Sie zu befriedigen bringt einen nicht wirklich weiter, man will nur, dass die innere Unruhe aufhört. Das alles beherrschende Gefühl ohne Smartphone ist eines der Unsicherheit. Es ist, als schwimme man allein hinaus ins Tiefe, ganz ohne Rettungsleine.

Am Ende drohe ich einmal unterzugehen. Ich komme aus dem Büro und bin viel zu spät dran für eine wichtige Verabredung. Der Verkehr staut sich heftig, ein Parkplatz ist nicht in Sicht. Leichte Panik steigt in mir auf. Ich leihe mir das Handy einer Freundin und sage schnell Bescheid. "Komme gleich."

Gegen Ende dieser Woche ist die Unruhe weniger geworden. Es befreit tatsächlich, nicht ständig nach Nachrichten zu schauen oder keinen Anruf verpassen zu dürfen, sondern sich zu sagen: Ich bin jetzt mal nicht erreichbar. Vielleicht, nehme ich mir vor, lasse ich mein Smartphone jetzt mal häufiger zu Hause auf dem Kühlschrank liegen.

Wahrscheinlich aber eher nicht.

Die nächste Folge der Serie "Sieben Tage ohne ..." lesen Sie in der Sonnabendausgabe.