Auch bei Briefen unter der Bank sollte man die Zeichensetzung beachten. Eine Eselsbrücke hat Ausnahmen, Partizipien und Prinzipien

Sie war seine erste Schülerliebe, die Trude aus seiner Klasse mit den vollen roten Lippen und dem braunen Haar. Er schrieb ihr unter der Bank während des Unterrichts glühende Briefe, jeder Ausdruck im Superlativ: "Du hast den schönsten Mund, weit und breit."

Das Komma in dem Satz war nicht nur überflüssig, sondern falsch und sinnentstellend. Trude nahm es übel und beendete die Beziehung, bevor sie begonnen hatte. So kann ein Komma zum Liebeskummer führen, der beim ersten Mal besonders schmerzhaft ist - weil neu und ungewohnt. Vielleicht hätte unser Jüngling besser keine Briefe unter der Bank geschrieben, sondern im Unterricht aufgepasst. Dann wäre er unter Umständen gewarnt gewesen, was passieren kann, wenn er das Komma nicht zwischen die Sätze, sondern zwischen die Satzteile setzt.

Diese Regel ist eine Eselsbrücke, ein erster Merksatz, der die schlimmsten Karambolagen im Irrgarten der Interpunktion verhindern soll. Ich ahnte beim Schreiben die Folgen, aber trotzdem ritt mich der Teufel, diese ausdrücklich als "vereinfacht" bezeichnete Regel vor einer Woche an dieser Stelle zu formulieren und als erste Hilfe anzubieten, was sie zweifelsohne auch ist.

Ich habe versprochen, mich nicht zu drücken, aber diesmal lief mein Postfach über. Ich werde noch einen Sommer lang benötigen, um alle Mails abzuarbeiten. Besonders liebe ich dabei die Zuschriften von Deutschlehrern und pensionierten Konrektoren, die ein Kribbeln in den Fingern spüren, wenn ein orthografischer Kurpfuscher wie ich sich an der deutschen Sprache vergreift, obwohl das doch der geschützte Bildungsauftrag der beamteten Pädagogen ist. Also wird quasi mit roter Tinte an den Rand geschrieben, selbst wenn es eigentlich gar nichts zu korrigieren gibt.

Am Rosenmontag wollten wir neben den Spalten dieser Kolumne jeweils einen zwei Zentimeter breiten Rand für schnelle Anmerkungen lassen, aber eine lateinische Botschaft aus Rom ließ keine Zeit für solche Späße. Ohne süffisant werden zu wollen, kann ich die Bemerkung nicht ganz unterdrücken, dass wir wohl kaum auf so viele Fehler und Unsicherheiten bei der Interpunktion stoßen würden, wenn der Schulunterricht auf diesem Gebiet erfolgreich gewesen wäre.

Das Komma hat im Gegenwartsdeutschen in erster Linie die Aufgabe, den Satz grammatisch zu gliedern. Es soll Nebensätze vom Rest des Satzes trennen, es soll Einschübe und Zusätze kenntlich machen, es soll Aufzählungen von Wörtern und Wortgruppen unterteilen und dergleichen mehr. Die Schwierigkeit besteht offenbar hauptsächlich darin, einen Satzteil von einem Satz zu unterscheiden, der verkürzt oder versteckt sein kann.

Nehmen wir die Partizipialgruppen, die durch Kommas abgetrennt werden können, nach meiner Empfehlung auch abgetrennt werden sollten, nach der Weichspülung durch die Reformer zur Deregulierung des Deutschunterrichts aber nicht mehr abgetrennt werden müssen: Bitterlich laut heulend, lief Fritzchen zur Mutter. Früher sagten wir, eine Partizipialgruppe müsse wenigstens aus drei Gliedern bestehen, um ein Komma zu bekommen. Heulend lief er zur Mutter, steht ohne Komma. Ist die Gruppe jedoch nachgestellt oder eingeschoben, steht immer ein Komma: Sie saß auf der Terrasse, ganz in Decken gehüllt. Mit nasser Kleidung, am ganzen Leibe zitternd, trat sie ins Zimmer. Ein einfaches Partizip sollte mit Komma stehen, wenn es einen längeren Nebensatz ersetzt: Zurückgewiesen, versuchte er es noch einmal. Für: Obwohl er zurückgewiesen worden war, versuchte er es noch einmal. Das Gleiche gilt für formelhafte Gruppen, die einen Nebensatz ersetzen. Streng genommen, so gesehen, wie berichtet, grob gerechnet sollten ein Komma bekommen, müssen es neuerdings aber nicht unbedingt.

Es gibt Formulierungen, die sind gar keine Partizipialgruppen, es sei denn, man denkt sich im Stillen ein partizipiales seiend oder habend dazu. Dann gelten die gleichen Kann- bzw. Muss-Regeln: Den Kopf im Nacken [habend], lachte er laut. So weit die Partizipialgruppen. Um nun nicht sämtliche Ausnahmen und Besonderheiten von und bei der zitierten Eselsbrücke abzuarbeiten, wollen wir in der nächsten "Deutschstunde" das Thema wechseln, ganz ohne Komma.