Wie wird Hamburg nach dem Atomausstieg, also im Jahr 2022, mit Energie versorgt? Im Phönixsaal im Rathaus wurde jetzt darüber diskutiert.

Der Phönixsaal im Rathaus ist einem ebenso düsteren wie aufmunternden Kapitel Hamburger Geschichte gewidmet - dem Großen Brand von 1842 und dem anschließenden Wiederaufbau, für den das Rathaus selbst das sichtbarste Zeichen ist.

Die 30 Personen, die sich am Donnerstag ab 9.30 Uhr in dem prunkvollen Gemach versammelten, mussten zwar keine Ruinen und Asche beiseite räumen, um dann der Stadt, dem Phönix gleich, zu neuem Glanz zu verhelfen. Aber ihre Aufgabe hatte ähnliche Ausmaße: Nicht mehr und nicht weniger als die Energiewende sollten sie einleiten, also die Versorgung der Stadt mit Energie nach dem Atomausstieg 2022.

Die Teilnehmerliste war der Bedeutung des Themas angemessen. Der Bürgermeister, seine Senatsmitglieder für Wissenschaft, Stadtentwicklung und Wirtschaft, die führenden Vertreter der Energieversorger, der Kammern, der Industrie, der Gewerkschaften, des Hafens, der Hochschulen und der Umweltschutzverbände waren gekommen. Und alle betonten sie vor und nach dem Treffen, wie wichtig die Energiewende doch sei. Kann also gar nichts mehr schiefgehen? Zweifel sind angebracht.

Denn bei näherem Hinsehen offenbaren sich schwere Konflikte zwischen den Teilnehmern, und manch ein Beobachter fragte sich schon, wie es gelingen soll, diese zum Wohle des übergeordneten Ziels zurückzustellen.

In den bekanntesten Konflikt ist der Bürgermeister selbst verwickelt. Der von Olaf Scholz geführte Senat hat den Energiekonzernen Vattenfall und E.on 25,1 Prozent der Strom-, Gas- und Fernwärmenetze abgekauft. Da die Konzerne sich im Gegenzug zu einigen klimafreundlichen Investitionen verpflichteten, war das aus Scholz' Sicht auch der Einstieg in die Energiewende. Für die Bürgerinitiative "Unser Hamburg - unser Netz" war es hingegen ein Tritt vors Schienbein, denn sie kämpft dafür, 100 Prozent der Netze zurückzukaufen. Pikant: Mit den Geschäftsführern des Umweltverbands BUND, Manfred Braasch, und der Verbraucherzentrale, Günter Hörmann, saßen die bekanntesten Köpfe der Netze-Initiative nun mit am Energiewende-Tisch.

Scholz und Braasch machten aus der Unvereinbarkeit ihrer Ansätze auch keinen Hehl, heizten das Thema aber nicht weiter an. In seiner Begrüßung bemühte sich der Bürgermeister sogar um Glättung der Wogen: "Wir sind doch eigentlich alle Freunde", sagte er und setzte mit einem Schmunzeln in Richtung Braasch hinzu: "Auch wenn das noch nicht jeder gemerkt hat."

In noch herzlicherer Abneigung sind sich auf der einen Seite Braasch und sein Kollege Alexander Porschke, Chef der Naturschutzbundes Nabu, sowie auf der anderen Seite Gunther Bonz vom Unternehmensverband Hafen verbunden. Die Klage der Umweltverbände gegen die Elbvertiefung hatte der Ex-Staatsrat mit der lautstarken Forderung gekontert, den Verbänden die staatlichen Zuwendungen zu kürzen. Das Thema versuchte der streitlustige Eurogate-Manager auch im Phönixsaal anzusprechen. Als es um Landstrom für Schiffe ging, berichtete er von der Bereitschaft chinesischer Reedereien, ihre Schiffe umzurüsten - aber nur unter der Bedingung, dass die Elbvertiefung komme. Scholz würgte den Vorstoß sofort persönlich ab - man könne heute leider nicht über alles sprechen.

Auch Hörmann traf noch auf andere Gegenspieler: dem scheidenden E.on-Hanse-Vorstandschef Hans-Jakob Tiessen und seinem Nachfolger Matthias Boxberger hatte der oberste Verbraucherschützer erst kurz zuvor mit einer Klage eine krachende Niederlage vor Gericht zugefügt - 55 000 Gaskunden muss E.on wohl wegen unzulässiger Preisklauseln entschädigen.

Dass Scholz die Energiewende nicht gegen, sondern mit den Konzernen umsetzen will - Vattenfall-Boss Pieter Wasmuth saß auch mit am Tisch -, entbehrt ohnehin nicht einer gewissen Ironie. Schließlich klagen E.on und Vattenfall noch gegen den Atomausstieg und stellen damit die Grundlage für die Energiewende an sich infrage. Dass die Verfechter der Großkraftwerke sich dennoch geduldig die Kritik der Umweltverbände und den Vortrag einer Greenpeace-Vertreterin über Windkraft und Biomasse anhörten - und die ihnen umgekehrt auch lauschten -, wurde daher im Rathaus als Coup bewertet. Der Kritik von Grünen-Fraktionschef Jens Kerstan, der von einer reinen "PR-Nummer für den Bürgermeister" sprach, wollte sich denn auch kein Teilnehmer anschließen. Der kleinste gemeinsame Nenner lautete eher: "Gut, dass wir mal gesprochen haben."

Zumindest Scholz selbst hat sich aber mehr vorgenommen: Hamburg an die Spitze der Bewegung zu setzen und den Ruf als Hauptstadt für erneuerbare Energien zu festigen ist aus seiner Sicht zukunftsweisende Standortpolitik. Dass er damit auch Argumente gegen den Netze-Rückkauf sammelt - Motto: "Seht her, wir setzen die Energiewende doch auch so um" -, ist allerdings mehr als ein angenehmer Nebeneffekt.

Das Thema Fortschritt ist auch im Phönixsaal präsent. Unter dem Bild der Schutzpatronin Hammonia inmitten der ausgebrannten Stadt steht in Holz gemeißelt: "Das Alte stürzt, es ändert sich die Zeit, und neues Leben blüht aus den Ruinen." Ist allerdings weder von Hammonia noch von Olaf Scholz, sondern aus Schillers "Wilhelm Tell".