“Rüpel-Radler“ sind die Ausnahme, Hamburgs Verkehrspolitik ist mangelhaft

Sie fahren bei Rot über die Ampel, radeln ohne Licht oder düsen falsch herum in eine Einbahnstraße: Wenn man einer aktuellen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov glauben darf, sind manche Radler die größte Gefahr auf unseren Straßen. 82 Prozent der Autofahrer fühlten sich von ihnen bedroht, will YouGov herausgefunden haben. Mehr als von Geisterfahrern. Vor denen zittern "nur" 69 Prozent. "Rüpel-Radler" werden jene Fahrradfahrer genannt, die jetzt auch der Jurist und Präsident des Verkehrsgerichtstags, Kay Nehm, bei der Jahreskonferenz des Expertengremiums ins Visier genommen hat: Härtere Strafen sollen sie zur Räson bringen, fordert Nehm. "Kaum ein Radler fährt mit vorgeschriebener Beleuchtung, kaum ein Radler kümmert sich um Fahrtrichtung oder um Ampeln", wird er zitiert. Da muss er auf dem Weg nach Goslar wohl einige gemeine Erlebnisse mit Radlern erlebt haben, um zu solchen - sagen wir einmal vorsichtig - steilen Statistik-Thesen zu gelangen.

Zweifellos lässt sich immer mal wieder im Stadtverkehr das eine oder andere haarsträubende Radmanöver beobachten. Und bei Schneefall, Nebel und Glätte ist der auch in Hamburg stetig zunehmende Anteil des Radverkehrs ein zusätzlicher Punkt, der Konzentration beim Autofahren erfordert. Aber sind sogenannte Rüpel-Radler wirklich das große Problem im Verkehr?

Das lässt sich stark bezweifeln. Zunächst einmal gibt es da einen generellen Unterschied: Ein Autofahrer bewegt rund eine Tonne Blech und Stahl mit meist mehr als Tempo 50 durch die Stadt, sein Fehlverhalten dürfte ganz andere Folgen haben als ein Radler, der mit Tempo 20 und einem Elf-Kilo-Rad falsch fährt. Die - verständliche - Angst der Autofahrer dürfte auch eher darin begründet sein, dass sie angesichts scheinbar unkontrolliert herumsausender Radfahrer in einen Unfall verwickelt werden könnten - nicht, dass sie selbst zu Schaden kommen.

Für Radfahrer sieht die Sache schnell anders aus. Daher könnte man dem Verkehrsgerichtstagspräsidenten mit einer anderen Wahrnehmung kontern: Gerade jetzt im Winter achten die meisten Radfahrer auf die beste Beleuchtung, fahren vorsichtig, ziehen sogar Spikereifen auf.

Und auch die Unfallstatistik gibt in Hamburg nicht her, dass es ein drängendes Problem mit sogenannten Rüpel-Radlern gibt. Bei den rund 63.000 Unfällen im Stadtgebiet waren es etwa 3000, bei denen erwachsene Radfahrer beteiligt waren. Und in rund 65 Prozent der Fälle waren sie Opfer, nicht Verursacher.

Doch auch als überzeugter Radfahrer, wie der Autor, darf man nicht leugnen, dass es diese gefühlte Bedrohung gibt. Das hat vermutlich viele, manchmal ganz banale Gründe. Oft beobachtet man beispielsweise aufgebrachte Autofahrer, wenn man als Radfahrer vermeintlich falsch in der Einbahnstraße unterwegs ist. Tatsächlich aber sind gerade in Hamburg in den vergangenen Jahren etliche Einbahnstraße zum Radfahren in beide Richtungen freigegeben worden. Die kleinen Schilder dazu kann man leicht übersehen (vor allem wenn man mit Tempo 50 in Tempo-30-Zonen unterwegs ist).

Aber ja, es stimmt, als Radfahrer ist man gelegentlich in Versuchung, rote Ampeln oder richtige Fahrtrichtungen, sagen wir mal, zu übersehen. Aber das liegt an einer mangelhaften Verkehrspolitik in Hamburg und vielen anderen Städten, die längst noch nicht erkannt haben, dass die Zukunft eines friedlichen, stillen und entspannten Stadtverkehrs mehr in der Unterstützung von Fußgängern und Radfahrern liegt, als weiter auf eine Nur-Auto-Stadt zu setzen.

Die Realität ist ernüchternd. Radler und Fußgänger müssen sich ihren Weg auf schmalen Pfaden neben zwei- und dreispurigen Straßen teilen, Radwege enden zu oft im Nichts, Radfahrer müssen vielerorts drei Rotphasen abwarten, um eine Kreuzung überqueren zu können. Es fehlen Schilder, das Pflaster ist kaputt, die Radwege sind zugeparkt.

Das alles frustriert, macht wütend, wenn man einfach nur gleichberechtigter Teil des Stadtverkehrs sein will. Und das führt wohl auch gelegentlich dazu, dass jemand bei drei Rotphasen die dritte eben nicht mehr abwartet. Das ist keine Entschuldigung für falsches oder gar rüpelhaftes Verhalten. Aber wohlgemerkt, solche Verstöße sind auch kein massenhaftes Verhalten - so wie es der Verkehrsgerichtstag derzeit suggeriert.