Hagenbecks Tierpark hofft auf Nachwuchs für die junge Tiger-Dame Maruschka - und fahndet weltweit nach dem genetisch perfekten Partner.

Stellingen. Sie heißt Maruschka, aber Rapunzel wäre passender. Denn wie die schöne Prinzessin im Märchen sitzt die neue Tigerin bei Hagenbeck alleine im Turm und wartet auf ihren Prinzen. Wo bleibt der bloß? Während der Herr sich noch herumtreibt, putzt sie ihr schönes Fell und hält mit bernsteinfarbenen Augen Ausschau. Sie wird noch lange putzen und suchen müssen. Der Grund: Der Prinz muss erst noch geboren werden.

Maruschka ist gar nicht so wählerisch. Hauptsache, der Zukünftige hat Streifen ... Hagenbecks zoologischer Direktor Stephan Hering-Hagenbeck und Tierarzt Michael Flügger sehen das nicht so locker. Der männliche Tiger muss genetisch perfekt zu der jungen Dame passen. So will es das Europäische Erhaltungszuchtprogramm (EEP). Denn die Raubkatzen sollen für Nachwuchs sorgen. Gesunde Tigerbabys, mit denen später weitergezüchtet werden kann, um die stark gefährdete Art des Sibirischen Tigers zu erhalten.

"In Freiheit gibt es noch etwa 450 Sibirische Tiger", sagt Stephan Hering-Hagenbeck, in den europäischen Zoos leben etwa 220 der auch Amur-Tiger genannten Großkatzen. Damit die Zucht der Tiere langfristig gelingt, ist ein gesunder und vielfältiger Genpool nötig - und ein Fachmann, der den Überblick behält. Das ist der sogenannte Zuchtkoordinator, im Fall der Sibirischen Tiger sitzt er im Zoo London. Er sammelt Daten, puzzelt daraus passende Tigerpärchen und entscheidet, welches züchten darf und welches nicht.

Sascha und Taiga waren so ein Paar vom Reißbrett. Beide Tiger kamen 1996 nach Hamburg und verstanden sich prächtig. Neun Jungtiere wurden geboren, zuletzt gab es 2003 einen Tigerwurf bei Hagenbeck. Dann war Schluss. Sascha und Taiga wurden zusammen alt, starben und machten damit die Wohnung frei für ein neues Tigerpaar.

So flog am 16. September 2012 Maruschka aus dem Zoo Nowosibirsk in Hamburg ein. "Sehr ängstlich und zurückhaltend saß sie in der Kiste", erinnert sich Tierpfleger Kevin Surmilo an seinen ersten Eindruck von der erst anderthalb Jahre alten Tigerin. Gutes Zureden habe es gebraucht, um sie herauszulocken. Inzwischen hat sich Maruschka mit ihrem neuen Zuhause angefreundet. Zu sehen ist sie - das große Gehege soll umgebaut werden - derzeit allerdings nur auf der kleinen Tigeranlage.

Dort liegt sie am liebsten auf ihrem Aussichtsplatz in der Ecke oben links und hält Ausschau nach Besuchern - oder nach einem Prinzen. "Das schöne Tier soll hier nicht alleine versauern", sagt Tierarzt Michael Flügger und hofft auf baldigen männlichen Nachwuchs irgendwo in Europa oder - was auch gut wäre - auf eine Ausnahmegenehmigung. Auf der EEP-Liste stehen nämlich nur die Tiger, die in einem der 345 Zoos des Europäischen Zooverbands (EAZA) leben. Es gibt aber auch Tiger, die in kleinen, nicht von der EAZA zertifizierten Zoos leben. Vielleicht findet sich dort ein Prinz, der zu Maruschka passt und nach Hamburg kommen darf - natürlich erst nach erfolgreichem Gentest und mit Zustimmung des Koordinators.

Für 177 gefährdete Tierarten gibt es zurzeit europäische Erhaltungszuchtprogramme - ein aufwendiges und mitunter schwieriges Geschäft. Der Tierpark Hagenbeck koordiniert die EEP für die Onager (persische Wildesel) und die Nordchinesischen Leoparden. Das kostet Zeit und Nerven. Das Problem beim Onager: "Es sind unattraktive Tiere, für viele Besucher nur irgendein Esel", sagt Zuchtkoordinator Stephan Hering-Hagenbeck. Wenige Zoos wollen Onager halten, der gezüchtete Nachwuchs ist deshalb nur schwer vermittelbar. Der Nordchinesische Leopard steht in der Gunst der Besucher zwar besser da, ist tagsüber aber kaum zu sehen - unattraktiv für viele Zoos.

Zudem zerschießt der Leopard regelmäßig die schönen Pläne von Zuchtkoordinator Michael Flügger: "Die haben ein bis fünf Tiere im Wurf. Macht also drei oder auch 15 Jungtiere im Jahr." Und weil das so ist, sei die Hauptarbeit eines EEP-Koordinators "das Besabbeln der Kollegen", sich doch bitteschön einer dieser Tierarten anzunehmen. Andererseits gibt es für die EEP-Manager kaum etwas Schöneres als ein funktionierendes Zuchtprogramm, an dessen Ende im besten Fall die Auswilderung von Tieren steht - wie die gelungene Wiederansiedlung der Przewalskipferde in der Mongolei.

Was bedeutet das nun für Maruschka? Erst einmal: warten. Solange kein Artgenosse in Sicht ist, könnte sie sich mit Tierpfleger Kevin Surmilo anfreunden. "Leider mag sie mich nicht. Sobald ich mich ihr nähere, fängt sie an zu brüllen", sagt der 32-Jährige.

Tja, vielleicht ist Maruschka am Ende doch wählerischer, als alle denken und wartet wirklich auf den einen und einzigen Prinzen.