Die schwächere Konjunktur wird laut Agenturchef Sönke Fock auch Hamburg treffen. Frauen sollen verstärkt Jobangebote gemacht werden.

Hamburg. Noch nie gab es in Hamburg so viele Arbeitsplätze wie im Herbst 2012. Doch die gute Entwicklung am Arbeitsmarkt im vergangenen Jahr wird sich in den kommenden Monaten zunächst nicht fortsetzen. Das Abendblatt sprach mit dem Chef der Hamburger Arbeitsagentur Sönke Fock über die Aussichten für 2013, neue Angebote für Frauen, die Chancen junger Menschen und 10.000 nicht besetzte Stellen für Behinderte.

Hamburger Abendblatt: Herr Fock, ein Jahr mit einem stabilen Arbeitsmarkt geht zu Ende. Sind Sie zufrieden?
Sönke Fock: Wir hatten eine günstige Entwicklung für Hamburg erwartet und sie ist auch eingetreten. Lag die Zahl der Arbeitslosen 2011 noch im Durchschnitt bei 72.900, so rechnen wir für 2012 mit 70.700, also gut 2000 weniger. Dazu sind die im September erreichten knapp 870.000 sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätze ein Allzeithoch. Immerhin sind das gut 15.000 mehr als 2011. Das sind gleich zwei Gründe, um zufrieden zu sein.

Aber die Entwicklung wird in diesem Jahr wohl kaum anhalten, denn die Konjunktur schwächt sich ab. Wie wird sich das auswirken?
Fock: Die Arbeitslosigkeit wird steigen, weil das prognostizierte Wachstum von allenfalls einem Prozent 2013 kaum dafür ausreichen wird, die Belegschaften weiter auszubauen. Im Januar und Februar erwarten wir ein Plus von 6000 bis 8000 Arbeitslosen gegenüber den zuletzt gut 67.000. Einmal abgesehen von dem Abbau von mehreren Hundert Stellen im Zeitungs- und Zeitschriftenbereich aus strukturellen Gründen zum gleichen Zeitpunkt in Hamburg hat dies aber ausschließlich saisonale Gründe. Insgesamt könnte sich 2013 so entwickeln wie 2011 - und das war kein schlechtes Jahr. Wir werden also auch 2013 Monate mit weniger als 70.000 Arbeitslosen haben.

Wird die Kurzarbeit wieder zunehmen?
Fock: Dafür gibt es bisher keine Anzeichen. Vorsorglich haben sich einige Firmen nach den aktuellen Regelungen erkundigt. Die Bundesregierung hat ja noch im Dezember das Kurzarbeitergeld per Verordnung von sechs auf zwölf Monate verlängert.

Bislang sind Fachkräfte begehrt. Stecken die Unternehmen nun bei ihrer Suche nach ihnen zurück?
Fock: Das kommt für viele Branchen nicht infrage, weil schon aus demografischen Gründen qualifizierte Mitarbeiter in den Ruhestand gehen. Vor allem im Gesundheitsbereich, in der IT-Branche sowie bei Metall- und Logistikberufen wird die Nachfrage in Hamburg hoch bleiben. Das Einstellungstempo dürfte aber nachlassen. Viele Firmen werden versuchen, bei nachlassender Konjunktur zunächst mit dem vorhandenen Personal auszukommen.

Muss die Agentur dann nicht verstärkt fördern, um die bisherige gute Entwicklung zu stabilisieren?
Fock: Das werden wir tun. Aber die Reserven der Bundesagentur für Arbeit sind in den Krisenjahren seit 2008 von knapp 17 Milliarden Euro auf 2,5 Milliarden Euro geschrumpft.

Wie wirkt sich das auf Hamburg aus?
Fock: Nicht im Bereich der Arbeitslosenversicherung, aber für die Förderung von Langzeitarbeitslosen stehen 2013 noch 100 statt zuvor 110 Millionen Euro bereit. Bei der Arbeitsagentur wird sich an der Summe von 35 Millionen Euro nichts ändern. Das wären dann für Arbeitsagentur und Jobcenter 135 Millionen Euro. Die Kosten pro Kopf werden aber steigen, weil die Aufwendungen für den einzelnen Arbeitslosen immer größer werden. Immer mehr von denjenigen, die wir heute vermitteln wollen, sind älter als 45, haben keine Berufsausbildung oder sind gesundheitlich angeschlagen. Wir müssen mit den Mitteln noch zielgerichteter vorgehen.

Lassen sich neue und qualifizierte Arbeitskräfte in anderen Bereichen finden?
Fock: Dafür werden wir im Januar 8000 Menschen anschreiben, die bisher in unserer Statistik gar nicht auftauchen. Zur stillen Reserve zählen vor allem Frauen, die nicht arbeiten, weil sie Kinder erziehen, Angehörige pflegen oder wirtschaftlich versorgt sind. Diese Menschen wollen wir über ihre Chancen für einen Job informieren. Es ist die größte Aktion, die wir bisher für diese Gruppe in Hamburg gestartet haben.

Welche Frauen kommen am ehesten für einen Wiedereinstieg infrage?
Fock: In Hamburg gibt es zum einen ältere Frauen ab 45, die gut ausgebildet sind, aber schon lange nicht mehr in ihrem Beruf gearbeitet haben. Viele von ihnen suchen einen Einstieg, kennen aber den Bedarf nicht oder sind unsicher, ob und wie sie sich noch weiterbilden müssen. Ihnen möchten wir Informationen bieten und Ängste vor einer Bewerbung nehmen. Dazu gibt es jüngere Frauen bis Mitte 30, die früh Kinder bekommen haben und ihre Schul- und Berufsausbildung nicht abschließen konnten. Hier kann die Arbeitsagentur die Qualifizierung oder eine Ausbildung finanzieren, sodass später bessere Aussichten für einen Wechsel in den Beruf bestehen. Wir hoffen auf die Unterstützung von Arbeitgebern. Liegt ein Übernahmeangebot vor, steigt die Motivation, eine Aus- oder Fortbildung durchzustehen.

Noch immer geht aber Fachwissen verloren, weil in Hamburg jährlich 10.000 für behinderte Menschen vorgesehen Arbeitsstellen nicht besetzt werden.
Fock: Ein Unding, zumal von den 1,8 Millionen Hamburgern 156.000 schwerbehindert, aber nur 25.000 berufstätig sind. Ich kann nur appellieren, dies zu ändern. Denn die Löhne solcher Mitarbeiter können zum Teil von der Arbeitsagentur übernommen werden, und die Kosten für einen eventuellen Umbau der Arbeitsplätze lassen sich von der Ausgleichsabgabe der Firmen finanzieren, die keine Behinderten einstellen. Warum immer noch viele Firmen solche Möglichkeiten nicht nutzen, verstehe ich nur bedingt.

Dafür stößt der Abbau von Ein-Euro-Jobs bei sozialen Einrichtungen auf wenig Verständnis. Setzt er sich im neuen Jahr fort?
Fock: Geplant ist, die Zahl dieser Arbeitsgelegenheiten von rund 4000 auf 3150 im kommenden Jahr zu senken. Der Grund dafür ist, dass über diese Jobs nur wenige Menschen in eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung wechseln können. Daher haben wir 2012 auch die restlichen zehn Millionen Euro Fördergelder nicht für diesen Zweck ausgegeben. Das hätte zwar die Statistik verbessert, aber nicht für mehr Jobs in der freien Wirtschaft gesorgt. Aber ich stehe dazu, dass keine Investition unterblieben ist, die zu einer Integration eines Menschen in Arbeit geführt hat.

Gibt es eine Kompensation für den Abbau der Ein-Euro-Jobs?
Fock: Tatsächlich können seit April Arbeitsverhältnisse bei Firmen bis zu zwei Jahre mit bis zu maximal 75 Prozent des Lohns gefördert werden. Diese Möglichkeit wollen wir 2013 nutzen. Zunächst haben wir vor allem öffentliche Firmen in Hamburg angesprochen.

In Hamburg gibt es mehr Lehrstellen als Bewerber - eine paradiesische Situation. Wozu dann noch die von Bürgermeister Scholz initiierte Jugendberufsagentur?
Fock: Richtig ist, dass bei uns mit 8400 Ausbildungsplätzen schon heute für 2013 so viele Stellen gemeldet wurden, dass sie für alle Bewerber aus Hamburg ausreichen dürften. Aber dabei darf man auch die Konkurrenz von Jugendlichen aus den angrenzenden Ländern nicht vergessen. Klar ist: Weder die Betriebe noch die jungen Menschen finden allein den passenden Lehrling oder die passende Lehrstelle. Deshalb fragen sie bei uns nach. Dafür stehen künftig die Mitarbeiter der Jugendberufsagentur bereit. Wir haben im Herbst die Standorte in Mitte und Harburg eröffnet. Bis Ende 2013 sollen vier bis fünf weitere dazukommen. Dort werden dann künftig etwa 400 Berater von der Arbeitsagentur, dem Jobcenter und der Stadt beschäftigt sein.

In der Arbeitsagentur werden von 2013 an Stellen wegfallen. Was ist geplant?
Fock: Die Bundesagentur will bis Ende 2015 rund 17.000 Stellen auf dann noch 90.000 Beschäftigte streichen. Das betrifft befristete Verträge, Mitarbeiter von Telekom oder Post, die zu ihren alten Arbeitgebern zurückkehren und Stellen, die nicht wiederbesetzt werden, wenn Beschäftigte in den Ruhestand gehen. In Hamburg sind von den 2200 Angestellten bei der Agentur und beim Jobcenter rund 80 betroffen. Kündigungen wird es nicht geben.

Und trotz des Stellenabbaus wird keine Arbeit liegen bleiben?
Fock: Alles mit weniger Leuten zu schaffen ist eine sportliche Herausforderung. Denn die Qualifizierung wird schwieriger, und auch mit nur leicht steigenden Arbeitslosenzahlen wird die Arbeit künftig eher zunehmen.