Deutsche Schiffbaubilanz 2012: Der Neuenfelder Traditionsbetrieb hofft auf Auftrag. Blohm + Voss sucht Kunden für Megayacht.

Hamburg. Als Insolvenzverwalter zu Sietas zu kommen, war für den Juristen Berthold Brinkmann, 63, eine Ehre. Nicht, dass er zum ersten Mal eine Werft aus der Pleite führen sollte. Das hat er schon zuvor dreimal auf Bestellung eines Amtsgerichts getan. Dieses Mal aber liegt der Betrieb nicht nur in seiner Wahlheimat Hamburg, sondern die Betroffenen haben ihn einstimmig zum Verwalter gewählt. Auftraggeber, Arbeitnehmer, die IG Metall, die Betriebsräte und die Lieferanten wollten, dass er hilft, Deutschlands älteste, 1635 gegründete Werft zu erhalten. Tatsächlich schaffte es Brinkmann zumindest, dass die Arbeit auch nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens für die Werft nicht zum Erliegen kam. "So gut", sagt er, "läuft es sonst selten."

Der Steuerberater und Buchprüfer Brinkmann ist einer der beiden Männer, die für entscheidende Wenden im Hamburger Schiffbau 2012 stehen. Der andere, Herbert Aly, 54, ist promovierter Schiffsmaschinenbau-Ingenieur und Chef von Blohm + Voss. Seine Aufgabe: das vom englischen Finanzinvestor Star Capital Partners zum 31. Januar übernommene Traditionsunternehmen in eine neue Zukunft zu führen.

Zum Durchbruch jedoch fehlt beiden noch ein entscheidender Puzzlestein. Brinkmann muss fürchten, dass ihm der ausgewählte Käufer für den Neubau bei Sietas, die niederländische VeKa-Gruppe, abspringt. Aly wartet seit Monaten auf einen Auftrag für eine Megayacht, der beweisen soll, dass Fregatten- und Yachtbau die Arbeitsplätze auf Steinwerder sichern können.

Derzeit zählen Blohm + Voss und Sietas in Hamburg zusammen knapp 2400 Mitarbeiter. Zur Branche gehören zudem mehrere kleinere Reparaturwerften sowie Elektronikspezialisten wie SAM mit 610 oder Siemens mit 150 Angestellten. "Für das schwierige Jahr der Branche, die um Aufträge kämpfen muss, haben wir eine gute Beschäftigung", sagt Meinhard Geiken, 55, Bezirksleiter der IG Metall Küste.

Insolvenzverwalter Brinkmann hat dazu beigetragen. So konnte er die Sietas-Töchter Neuenfelder Maschinenfabrik (NMF) und Norderwerft an neue Eigentümer verkaufen. Die Kranfabrik NMF ging im Juli an die norwegische TTS-Gruppe, die vorher schon in Lübeck und Bremen vertreten war. Die Skandinavier setzten sich gegen Konkurrenz aus Korea durch und übernahmen 134 Mitarbeiter.

Friedrich Lürßen, Chef der Bremer Werftengruppe, bot dagegen von Anfang an für die Norderwerft. "Er wollte einen Standort in Hamburg", erinnert sich der Insolvenzverwalter. Denn zuvor war sein Angebot zum Kauf von Blohm + Voss auf wenig Gegenliebe gestoßen. Auch Lürßen stellte alle 94 Beschäftigten der Reparaturwerft zum 1. Oktober ein und spendierte einige Wochen später bei seinem Antrittsbesuch in Hamburg Würstchen für die Werker.

Doch nach den beiden Erfolgen riss Brinkmanns Erfolgssträhne bei Sietas ab. Hintergrund war eine Kettenreaktion, die der Energiekonzern EnBW auslöste. Die Baden-Württemberger befürchten, dass ihr Windpark "Hohe See" nicht mehr vor Ende 2017 ans Netz gehen kann und damit weniger gefördert würde. Sie stellten ihre Investition zurück und die niederländische Reederei Van Oord steht nun ohne den 700-Millionen-Euro-Auftrag da, den sie für das Aufstellen der Windräder erhalten hatte. Prompt ließ sie - zumindest vorerst - den Bau eines zweiten Errichterschiffes bei Sietas platzen. Ohne neuen Auftrag aber will die VeKa-Gruppe die Hamburger Werft nicht kaufen. Zwar hat Brinkmann einen zweiten Interessenten an der Hand. Aber auch für den "deutschen Metallverarbeiter mit Milliardenumsatz" ist die Werft ohne Auftrag wenig interessant.

Für Sietas hat nun ein Wettlauf gegen die Zeit begonnen. Bis Ende Februar reicht die Arbeit für das erste Errichterschiff für Van Oord. Dann muss neue Arbeit her. Zwar hat Hamburg im Bundesrat eine Mehrheit für eine Verlängerung der Förderung über 2017 hinaus erhalten. Entscheiden muss aber die Bundesregierung. Derzeit schätzt Brinkmann die Chancen, die Lage noch zu drehen, auf 50:50. Tun will er alles dafür. "Wenn ich sicher sein kann, dass der Auftrag kommt, kann ich Ende Februar zunächst Kurzarbeit beantragen, um so Zeit zu gewinnen", sagt er.

Während Brinkmann eine schnelle Entscheidung braucht, führt Blohm+ Voss-Chef Aly derzeit "mehrere aussichtsreiche Gespräche mit Interessenten für Yachtprojekte. Wir sind optimistisch, bis Anfang April ein Projekt abschließen zu können", sagt er. Noch eher rechnet er mit dem Verkauf des Maschinenbaus von Blohm + Voss, der gleich neben der Werft angesiedelt ist. Für Star Capital Partners war bereits bei der Übernahme klar, dass das Unternehmen rasch veräußert werden sollte. Offensichtlich sind die Verhandlungen weit fortgeschritten. "Die Transaktion ist auf gutem Weg", sagt Aly. Verkaufsabsichten für Werft und Reparatur gibt es dagegen derzeit nicht.

Vielmehr arbeiten die Belegschaften der Unternehmen stärker zusammen. Hintergrund: Die Reparatur hat sich immer mehr auf Umbauten und Modernisierungen spezialisiert. So kamen allein 2012 fünf Traumschiffe in die Docks. "Die Auslastung ist gut, einige Docks wurden bereits für 2014 gebucht", sagt Aly.

In der Fertigung sind zwar nur 350 der 680 Mitarbeiter mit dem Bau der vier Fregatten für die Deutsche Marine befasst. Derzeit wird aber verstärkt um Kunden für Großyachten geworben, Konstrukteure der Werft arbeiten für andere Werften oder Zulieferfirmen. Ein Yachtauftrag würde das ändern. Dann bräuchte Aly die Belegschaft wieder zurück. "Mit dem Auftrag würde sich die Beschäftigungslage im Neubau wesentlich stabilisieren", sagt er. "Wenn künftig die Marineaufträge zurückgehen und Yachten gebaut werden, können wir beim Personal zulegen."

Dies ist bei Blohm + Voss Naval, dem einzigen Unternehmen das der ThyssenKrupp-Konzern nicht an Star Capital verkauft hat, bereits geschehen. Das Ingenieurbüro, das U-Boote und Marineschiffskonzepte vermarktet, hat die Belegschaft im Jahresvergleich von 303 auf 355 aufgestockt. Allein im Ende September beendeten Geschäftsjahr gingen Aufträge für gut 750 Millionen Euro ein. Dabei handelt es sich um drei U-Boote und zwei Fregatten, die offenbar Algerien bestellt hat. ThyssenKrupp bestätigt dies nicht. Nur so viel: Der Auftragsbestand beträgt neun Milliarden Euro und reicht für zehn Jahre.

Hamburgs Wirtschaftssenator Frank Horch (parteilos) glaubt zwar auch für 2013 noch nicht an das Ende der Schiffbaukrise. Er sieht aber neben dem Yachtbau und Offshore-Projekten Chancen im Umweltschutz auf See. "Wir haben den Vorteil, dass wir immer noch einen Vorsprung bei Technologie und Kreativität haben", sagt Horch. "Halten wir den, werden in Hamburg in 100 Jahren noch Schiffe gebaut."