Wie behalten Wissenschaftler den Glauben an das eigene Tun? Multiple-Sklerose-Experte Manuel Friese gibt die Antworten.

Hamburg. Die Krankheit Multiple Sklerose (MS) gilt als unheilbar. In Deutschland sind etwa 130.000 Personen betroffen, jedes Jahr erkranken 2500 Menschen. Einige der MS-Betroffenen sind in ihrem Leben durch die Krankheit stark beeinträchtigt: Das eigene Immunsystem greift die Nervenzellen und deren Isolierschichten an, sodass Sehstörungen, Lähmungen und Gefühlsstörungen auftreten können. Als Erkrankter den Glauben an die eigene Heilung nicht zu verlieren, ist schwierig. Und als Forscher?

Manuel Friese ist Leiter der Forschergruppe Neuroimmunologie am Universitätsklinikum Eppendorf. Um zu seinem Büro zu kommen, muss man erst einmal durch Labore voller Zellschalen, Mikroskope und bunt gefärbter Proben. Manuel Friese ist erstaunlich jung. Dafür dass es ihm durch seine Forschung gelungen ist, MS-Patienten neue Hoffnung geben kann. Das muss er uns aber erklären.

Friese ist 39 Jahre alt, verheiratet und Vater dreier Kinder. Von 2004 bis 2008 hat er an der Universität Oxford zum Thema MS geforscht.

Hamburger Abendblatt: Warum haben Sie angefangen, Multiple Sklerose zu erforschen?
Manuel Friese: Mich hat immer schon die Hirnforschung interessiert: Wie funktionieren Denkprozesse? Wie entsteht menschliches Bewusstsein? Immunologie fand ich ebenfalls spannend. Aus der Kombination dieser beiden Forschungsgebiete ergibt sich mein Interesse an Multipler Sklerose, die sich im Gehirn abspielt und durch eine Fehlfunktion des Immunsystems ausgelöst wird.

Ist es nicht abschreckend, eine Krankheit zu erforschen, die als unheilbar gilt?
Friese: Für mich war es eben gerade eine Herausforderung, Forschungsfragen zu stellen, die bisher keiner gestellt hat. Außerdem hat in der biomedizinischen Forschung in den letzten zehn Jahren ein rasanter Fortschritt stattgefunden: Besonders durch die Entschlüsselung des Genoms, also des menschlichen Erbguts, und durch die Bioinformatik - die Verarbeitung und der Abgleich hoher Datenmengen durch Computer.

Wie behält man als MS-Forscher den Glauben an das, was man tut?
Friese: Man braucht eine hohe Frustrationsschwelle! Aber das ist generell für jeden Forscher notwendig. Von zehn Versuchen klappt vielleicht nur einer oder zwei. Man muss Fingerspitzengefühl für kleine Spuren und Hinweise entwickeln, um nicht aufzugeben. Das Positive ist, dass in diesem Forschungsfeld noch Potenzial für viele Entdeckungen vorhanden ist.

Woher weiß man, welcher Weg der richtige ist?
Friese: Ein großes Problem ist die ungeklärte Ursache der Krankheit: Wieso greift das Immunsystem den eigenen Körper an? Bei Multipler Sklerose entzündet sich das Nervensystem und die Funktion der Nervenzellen versagt, sie sterben letztendlich ab. Ich habe eine neue Fragestellung gewählt: Warum sterben die Nervenzellen unter einer chronischen Entzündung ab? Bei meiner Forschung habe ich eine neue Funktion eines Ionenkanals in der Nervenzelle entdeckt. Bei MS wird der Ionenkanal kontinuierlich aktiviert, wodurch schlussendlich vermehrt Wasser in die Zelle strömt, sie anschwillt und abstirbt. Durch eine Inaktivierung dieses Ionenkanals kann die Nervenzelle trotz Entzündung länger überleben.

Kann man von einem Durchbruch bei der Erforschung Multipler Sklerose sprechen?
Friese: Das würde ich so nicht sagen. Meine Erkenntnisse basieren auch auf schon vorhandenem Wissen. Von einem Durchbruch kann man vielleicht später im Nachhinein sprechen, wenn wir es geschafft haben, ein Medikament zu entwickeln, das den Menschen helfen kann. Jetzt würde ich es eher als "großen Schritt" bezeichnen. Als nächstes suchen wir eine Pharmafirma, mit der wir zusammen ein Medikament entwickeln wollen. Die Unterstützung vom Bundesforschungsministerium haben wir in Aussicht gestellt bekommen. Jetzt muss nur noch die Medikamentenentwicklung beginnen.

Sind Sie stolz auf Ihre Arbeit?
Friese: Es ist schon schön zu sehen, dass vier Jahre Forschungsbemühungen zum Ziel geführt haben. Und es gibt mir ein gutes Gefühl, dass meine Ergebnisse Ausgangspunkt für die Entwicklung neuer Medikamente zur Linderung von MS sein könnten.