Benefizabend für “Kinder helfen Kindern“: 2000 Zuhörer ließen sich bei Märchen im Michel von Stars wie Isabella Vértes-Schütter, Pheline Roggan und Eberhard Möbius verzaubern

Neustadt. Knisternde Spannung, sinnvoll ausgewählte Märchen, begeisternde Erzähler und eine Atmosphäre, die zu Herzen ging: Jetzt kann Weihnachten kommen! Gut eine Woche vor dem Heiligen Abend sorgten die "Märchen im Michel" für Vorfreude auf das Christfest - mit gewohnt feierlicher Note, dennoch anders als in den 20 Jahren zuvor. Denn der Ouvertüre am Nachmittag (siehe unten) folgte am späten Sonnabend der zweite Teil dieser märchenhaften Veranstaltung, die sich längst zur Institution in der Adventszeit entwickelt hat.

Hier wie dort standen gekonnt präsentierte Erzählungen, ein mit jeweils 2000 Gästen bis auf den letzten Platz besetztes Gotteshaus, mit Alexander Röder ein famos aufgelegter Hauptpastor und gemeinsamer Gesang im Mittelpunkt. Dass sämtliche Eintrittskarten binnen dreier Stunden verkauft waren, dokumentiert den Anklang und den Stellenwert eines ganz besonderen Ereignisses.

"Wir freuen uns auf vertraute und neue Stimmen", sagte Röder zur Begrüßung der Abendveranstaltung. Es sei ein Segen, dass der Abendblatt-Verein "Kinder helfen Kindern" wieder die Hände ausstrecke. Die Losung des Tages: Helfen bringt Freude. Tatsächlich faszinierte die Benefizveranstaltung Jung wie Alt. Die bewährte Melange: Zuhören, Lachen, Singen. Dieser Dreiklang machte gute Laune, schuf aber auch Gelegenheit zur inneren Einkehr. Süßer die Glocken des Michel selten klangen.

Beim Orgelvorspiel von Kantor Manuel Gera hatte die Gemeinde Muße, die geschmackvoll, eben nicht überladen geschmückte Kirche zu bewundern. Der große Adventskranz inmitten des Kirchenschiffs war mit 24 Kerzen bestückt - 20 rote und vier weiße. Die 13 Meter hohe, prachtvolle Nordmanntanne, geschlagen in einer schleswig-holsteinischen Baumschule, passte ins hanseatisch-würdige Bild: goldfarbenes Lametta und rund 1000 Lichter, aber kein Gedöns. Und über dem Altarraum leuchtete hell der Stern von Bethlehem. Nachdem die Lucia-Mädchen aus Schweden Einzug gehalten und am Altarraum Aufstellung bezogen hatten und "Santa Lucia" anstimmten, kamen die Hauptpersonen zu Wort. Mal fesselnd, mal betont ruhig, dann wieder schelmisch oder lehrreich präsentierten die Theatermacherin Isabella Vértes-Schütter, die Schauspielerin Pheline Roggan und "Urgestein" Eberhard Möbius wundervolle Geschichten und traumhafte Märchen. Die zwölfjährige Josephine Martz rundete das Quintett der Märchenerzähler ab; denn auch der Hauptpastor gab mit dem elsässischen Stück "Die Tannen der Aurelia" ein Stück zum Besten. Beeindruckte Stille herrschte in St. Michaelis, die immer wieder von fröhlichem Gelächter unterbrochen wurde. So soll es sein!

Das Team der Abendblatt-Aktion "Kinder helfen Kindern" um Vivian Hecker (Leiterin Marketing und Events) und Sabine Tesche (Leiterin des Ressorts "Von Mensch zu Mensch") hatte hinter den Kulissen bei der Planung dieser ebenso besinnlichen wie fröhlichen 100 Minuten dramaturgisches Feingefühl bewiesen. Es war die Kunst, den Stil der Tradition zu wahren und im 21. Jahr dennoch Neues zu wagen.

Wie schön für alle, dass an den Grundpfeilern nicht gerüttelt wurde. Denn mit Eberhard Möbius trat ein Mann der ersten Stunde dieser Veranstaltung an das Rednerpult neben der Krippe und vor dem Tannenbaum - wie immer kerzengerade, inbrünstig und ansteckend positiv. Der 86 Jahre alte Schauspieler, Regisseur und Buchautor trug "Die Geschichte vom Weihnachtsbraten" vor. Als es die Gans am Ende geschafft hatte, die Weihnachtszeit lebendig zu überstehen und als Freundin des Hauses opulent und umhegt sehr alt zu werden, brandete Applaus durch das Gotteshaus. Mancher Besucher dachte bei "Möbis" Auftritt gewiss an seine Ehefrau Christa, die zu Herbstbeginn in einer Seniorenresidenz in den Elbvororten friedlich eingeschlafen war.

Irgendwie passte es in die Harmonie dieses Abends vor dem dritten Advent, dass die Theaterintendantin Isabella Vértes-Schütter wenig später Hans Christian Andersens Klassiker "Der Engel" darbrachte. Diesem melancholischen, zu Gemüte gehenden Text folgte der Kontrast: "Hilfe, die Herdmanns kommen!" Diese Bande schwindelt, klaut, raucht, bringt andere in Rage, verflucht ihre Lehrer, ist rotzfrech - und beweist dennoch Herz. Trotzdem schaffen es die Lümmel, ein Krippenspiel mit Bravour zu bewältigen. Auch für Pheline Roggans gefühlvollen Vortrag gab es Beifall satt.

Nur zu gerne stimmten die Ehrengäste des Abends ein. Auch Inmi Kim Patterson, die Generalkonsulin der USA, Sabine Sommerkamp-Homann, die Honorarkonsulin Lettlands, und Abendblatt-Chefredakteur Lars Haider ließen sich nur zu gern vom Zauber der Märchen und Lieder einnehmen. Beim anschließenden Empfang im Gemeindehaus von St. Michaelis mit Schmalzbroten, Wein und Klönschnack war der Tenor einheitlich: Welch' Segen, dass Renate Schneider dieses Ereignis einst ins Leben rief.

Die Lucia-Mädchen mit ihrer Lichterkönigin und der wieder einmal begeisternde Cantus-Mädchenchor aus Lettland trugen entscheidend zum erstklassigen Gelingen bei. Die Mädchen und Frauen sangen, dass es eine Lust war. "Lasst uns froh und munter sein!" oder "Jingle Bells" sorgten für beste Stimmung im Michel. Zum Ausklang stimmten alle in das Gebot dieser märchenhaften Stunden ein: "O du fröhliche, o du selige, gnadenbringende Weihnachtszeit!" Und ganz hinten im Kirchenschiff, fast verborgen, sorgte Küster Tobias Jahn am Regiepult dafür, dass nicht nur der Ton hervorragend war. Vorfreude kommt auf. Siebenmal werden wir noch wach ...