Geht unter die Haut: Fast jeder sechste Deutsche hat bereits eine Tätowierung. In Hamburg ist die Zahl der Tattooshops deutlich gestiegen.

Hamburg. In den Händen von Sven Elvis Jensen surrt Cheyenne. Mit 50.000 bis 150.000 Stichen in der Minute ritzt die Tätowiermaschine die Farbe in die Haut von Janina Prahs. Schmetterlinge und "Take these broken wings and learn to fly" lässt sich die 24-Jährige auf ihre rechte Bauchhälfte schreiben. "Der Schriftzug passt genau zu meinem Leben", sagt die Bergedorferin, die auf einer weißen Liege bei Hamburg City Ink in Eimsbüttel Platz genommen hat. Daneben sitzt Freundin Jules Daunheimer und hält Händchen. Rund anderthalb Stunden setzt sich Prahs den Nadelstichen aus, Schmerzen empfindet sie kaum: "Auf dem Knochen tut es ein wenig weh, aber eigentlich kitzelt es mehr."

Nervenkitzel Tattoo - vor allem bei jungen Frauen stehen die farbigen Bilder hoch im Kurs. Laut einer Studie der Universität Leipzig stieg der Anteil der tätowierten Frauen bis 34 Jahre von knapp 14 Prozent im Jahr 2003 auf rund ein Viertel sechs Jahre später. Heutzutage haben sich rund zwölf Millionen Deutsche für die Kunst entschieden, die unter die Haut geht, rechneten Experten von Tattoo- und Piercing-Organisationen für den Gesundheitsausschuss des Bundestages aus. Das entspricht fast jedem sechsten Bundesbürger. Zwei Millionen Tätowierungen und acht Millionen Piercings (inklusive dem Stechen von Ohrlöchern) kommen pro Jahr hinzu. Mit der steigenden Nachfrage klettert auch die Zahl der Anbieter in die Höhe. Bei der Handelskammer Hamburg waren im Jahr 2006 lediglich 38 Tätowierstuben notiert. Derzeit sind schon 128 Tätowierer und Piercer bei der Kammer eingetragen, deren Mitgliedschaft aber nicht Pflicht ist.

Seit Sommer vergangenen Jahres ist Hamburg City Ink am Markt. "Es gibt keinen anderen Wirtschaftsbereich, der sich in den vergangenen 20 Jahren so verändert hat", sagt Chefin Stefanie Sohrt. Gab es die Stiche unter die Haut früher nur auf dem Kiez, dehnen sich die Läden mittlerweile über das Stadtgebiet aus. Weil die 43-Jährige in vielen Studios die Sauberkeit der Räume, die fehlende Intimsphäre und das Erscheinungsbild der Tätowierer bemängelte, entschloss sich die Werbekauffrau, selbst ein "modernes Dienstleistungsunternehmen mit hohen Hygienestandards" zu betreiben. Sie stellt die Räume zur Verfügung, die Tätowierer mieten können. Die Kunden werden an einem stylischen Tresen empfangen, auf einem Sofa kann man in den Katalogen schmökern und sich Ideen für Motive holen. Die Tattoos werden in benachbarten Räumen gestochen, deren Türen vor neugierigen Blicken schützen.

Anfangs hatte Sohrt zwei Mieter, mittlerweile sind es vier Tätowierer sowie ein Piercer. "Mit der steigenden Kundenzahl steigt auch die Auslastung der Räume stetig", sagt Sohrt. Die Tätowierer arbeiten auf eigene Rechnung, müssen sich aber an die Standards des Hauses halten. "Minderjährige als Kunden lehnen wir ab, wir machen keine Tätowierungen im Gesicht und Intimbereich, politische Symbole sind bei uns tabu", sagt Sohrt. Jeder Kunde sei bei ihr willkommen, egal ob Azubi, Banker oder Anwalt. "Alle Gesellschaftsschichten sind vertreten. Das macht das Geschäft so spannend." Nach Ladenschluss huschte auch schon der ein oder andere Prominente in das Studio.

"Tattoos sind in der Mitte der Gesellschaft angekommen", sagt Tätowierer York Lewin, der von Beginn an bei Hamburg City Ink arbeitet. Eine wichtige Rolle dabei spielen Stars. Sängerin Rihanna machte erst vor Kurzem über Twitter ihr insgesamt 18. Tattoo öffentlich. Auf ihrer Brust prangt nun ein Bild der altägyptischen Göttin Isis, das die Sängerin aus der Karibik ihrer verstorbenen Großmutter widmete. Eine Musiknote verziert den Knöchel der 24-Jährigen aus Barbados, das Sternzeichen Fische ist hinter ihrem Ohr platziert, auf einem Finger steht "Love". Schauspielerin Angelina Jolie hat sich die Breiten- und Längengrade der Geburtsorte ihrer sechs Kinder und von Ehemann Brad Pitt auf dem linken Oberarm verewigen lassen. Unter den Sportlern gilt David Beckham als Trendsetter. Der frühere englische Fußballnationalspieler trägt seine Trikotnummer sieben auf der Haut, das Datum des erneuerten Ehegelöbnisses mit Ehefrau Victoria, dem Ex-Spice-Girl, und auf dem Rücken einen großen Schutzengel, unter dem die Namen seiner Söhne eingeritzt sind.

Wer in die Imtech-Arena geht, sieht bei HSV-Mittelfeldspieler Marcell Jansen zum Beispiel den Schriftzug "Scorpion" auf dem linken Unterarm. Beim Lokalrivalen FC St. Pauli ließ sich Außenverteidiger Florian Lechner seine Rückennummer zwei und mit 20359 die Postleitzahl des Kiez-Stadtteils auf die Haut stechen - den Fußballklub vom Millerntor hat er allerdings im Sommer 2011 verlassen.

Daten, Blumen, Initialen, Tribals der Maori oder auch Fotos in 3-D-Optik seien bei vielen Hamburgern beliebte Motive, sagt Lewin: "Mehr als früher werden Statements wie Liedzeilen oder Gedichtpassagen tätowiert." Wer den Körperschmuck auf der Haut tragen möchte, muss in dem Eimsbütteler Tattoostudio mindestens 75 Euro investieren. Dafür sei jedes Motiv auch speziell für den Kunden entworfen und damit einzigartig. Große Hautbilder kosten auch mal vierstellige Summen.

Die Branche ist damit längst zu einem Wirtschaftsfaktor geworden. Rund 50 Millionen Euro Umsatz machen die 7000 Studios in Deutschland jährlich, errechneten die Tattoo-Organisationen für den Bundestag. Zusätzliche 115 Millionen Euro im Jahr wechseln durch den Handel mit Piercingschmuck und Hygienematerialien den Besitzer. Insgesamt verdienen 20 000 Menschen in der Bundesrepublik ihr Brot als Tätowierer und Piercer.

Die Kassen der Geschäfte füllt übrigens nicht nur die junge Generation. Zu den Kunden bei Hamburg City Ink gehören auch zwei 77-Jährige aus dem Friesland. Sie haben sich bereits die Namen ihrer verschiedenen Enkel tätowieren lassen. Bald ist ein neuer Besuch in der Hansestadt geplant. Sohrt: "Dann soll noch das Lieblingsspielzeug der Enkel dazukommen."