Mit oder ohne Hochtief? Am heutigen Sonnabend verkündet Bürgermeister Olaf Scholz, wie es mit der Hamburger Elbphilharmonie weitergeht.

Am Donnerstagabend, es war exakt 22.27 Uhr, war eigentlich Kehraus. Soeben hatte die Bürgerschaft nach drei Tagen Beratung den Doppelhaushalt 2013/2014 beschlossen, und viele Abgeordnete, Senatsmitglieder und Rathaus-Mitarbeiter wünschten sich im Anschluss bei einem kleinen Umtrunk schon frohe Feiertage. So richtig gelöst war die Stimmung aber nicht, denn einige Politiker ahnten schon, dass man sich vor Weihnachten noch einmal wiedersehen würde - wenn Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) die Entscheidung in Sachen Elbphilharmonie verkündet. Doch dass es so schnell gehen würde, hatte kaum jemand erwartet. Schon am Freitag waren sie fast alle wieder da, und das Rathaus wurde zur Bühne eines für Hamburg beispiellosen Konflikts.

Rückblende: Kurz nach Antritt des neuen SPD-Senats verkündet Kultursenatorin Barbara Kisseler (parteilos) im Frühjahr 2011 in der Bürgerschaft den neuen Kurs: "Keine Spielchen mehr, Hochtief!" Doch der Baukonzern, der mal wieder Nachforderungen in zweistelliger Millionenhöhe stellt, zeigt sich unbeeindruckt. Die Forderungen seien berechtigt, sagte ein Hochtief-Manager gegenüber städtischen Vertretern, wenn die Stadt sich nicht bewege, werde Hochtief nicht weiterbauen. Im November 2011 macht der Konzern Ernst: Wegen diverser ungeklärter Konflikte um Geld, Baumängel und um die Sicherheit des Saaldachs stellt Hochtief die Arbeiten ein.

Anfang des Jahres 2012 wird erstmals über eine Trennung von dem Baukonzern spekuliert. Am 24. Februar legt Hochtief einen Vorschlag für eine Einigung vor, die Stadt reagiert verhalten. Aber es wird weiter verhandelt, Papiere ausgetauscht, im März liegen unterschriftsreife Vereinbarungen für eine "Neuordnung" vor. Das Wort wird man noch oft hören in diesem Jahr. Die Papiere werden aber nie unterzeichnet. Im April stellt die Stadt erstmals ein Ultimatum: Wenn Hochtief bis Ende Mai nicht weiterbaut, behält die Stadt sich die Kündigung der Verträge vor.

Wieder zeigt sich der Konzern unbeeindruckt und verkündet am 31. Mai lediglich, dass man nun bereit sei, die "Absenkung" des Daches vorzubereiten. Gekündigt wird dennoch nicht. Stattdessen stellt die Stadt ein neues Ultimatum bis Ende Juni. Kurz vor Ablauf bittet Hochtief um eine Woche Verlängerung. Sie wird gewährt.

Am 5. Juli stellen die Streithähne ein "Eckpunktepapier" vor. "Jetzt wird gemeinsam zügig zu Ende gebaut", lautet die freudige Ansage. Senatorin Kisseler verkündet, dass endlich der Grundfehler des Jahrhundertprojekts bereinigt sei. In Zukunft sei gewährleistet, dass auf der Baustelle das Planen und Bauen "aus einer Hand" stattfindet. Bislang bildeten Hochtief und die Architekten Herzog & de Meuron eher zwei Hände, die zudem ständig im Clinch liegen. Nun sollen sie gemeinsam eine Planungsgesellschaft gründen. Doch schon kurze Zeit später werden die Kritiker bestätigt, die in diesem Eckpunktepapier nur das sahen, was es auch ist: ein Stück Papier. Und mitnichten ein neuer Vertrag. Der soll eigentlich in drei Wochen unterzeichnet werden. Doch stattdessen geht das juristische Gerangel um Millionen unvermindert weiter.

Knackpunkte sind die Frage, wer für die bisherigen Bauverzögerungen von 28 Monaten haftet - allein dabei geht es um 70 Millionen Euro - und wie aus Kontrahenten eigentlich Partner werden können. Können die Architekten dem Baukonzern in einem konstruktiven Planungsprozess alle Unterlagen zur Verfügung stellen, die dieser dann womöglich in einem späteren Beweisverfahren zur Durchsetzung seiner Position benutzt? Oder müssen sie dafür vorher von der Stadt aus der Haftung entlassen werden? An der Lösung dieser und anderer Fragen arbeiten eine Lenkungsgruppe und sieben Arbeitskreise. "Wir sind auf einem guten Weg", sagt ein Beteiligter. Von wegen. Wenige Wochen später sind die Fronten so verhärtet, dass die Treffen der Lenkungskreise abgesagt werden. Stillstand nicht nur auf der Baustelle, sondern auch auf der Gesprächsebene.

Anfang September kommt es zu einem ersten Geheimtreffen zwischen Scholz und Hochtief-Chef Marcelino Fernández Verdes. Der Spanier hatte Anfang Juli maßgeblich dazu beigetragen, dass die Stadt und der Baukonzern Hochtief sich auf ein Eckpunktepapier einigen konnten. Der Bürgermeister macht die Elbphilharmonie zur Chefsache. Die Hängepartie aber geht weiter, denn auch auf städtischer Seite gibt es Konflikte. Während Scholz den einfachereren Weg vorzieht, mit Hochtief weiterzumachen, ist die Arbeitsebene, also die städtische Realisierungsgesellschaft ReGe, von dem Baukonzern mächtig genervt. Im September empfiehlt der Aufsichtsrat der ReGe, den Vertrag mit Hochtief zu kündigen.

Im Oktober sind die Verhandlungen auf dem Tiefpunkt, eine Kündigung des Baukonzerns wird immer wahrscheinlicher. Scholz lässt sich detailliert darüber informieren, wie ein Weiterbau ohne Hochtief gelingen könnte.

Doch im November wird auf der Baustelle wieder gearbeitet. Die Wende? Es beginnt die sogenannte Absenkung des 2000 Tonnen schweren Saaldachs. Hochtief hatte stets behauptet, die Dachkonstruktion sei nicht sicher, vor allem nicht, wenn noch 6000 Tonnen Haustechnik obendrauf kommen. Die Stadt vertrat die gegenteilige Position, gewährte Hochtief aber keinen Einblick in ihre Gutachten. Sie hielt die Bedenken nur für vorgeschoben, um um mehr Geld feilschen zu können.

Am 8. November verkündet Scholz vor dem Freundeskreis der Elbphilharmonie im Hotel Vier Jahreszeiten, dass er sich bis Weihnachten entscheiden werde, den Konflikt aber nicht durch das Ausstellen eines großen Schecks lösen wolle.

Am 25. November dann ein wichtiger Zwischenschritt: Hochtief hat die Absenkung des Saaldachs abgeschlossen, und siehe da: "Es hält sogar besser als erwartet", jubelt die Kulturbehörde. Beide Seiten betonen jedoch, dass offen sei, wie es weitergehe.

Ende November geht Scholz auch öffentlich zu der Haltung über: Viel teurer wird es in jedem Fall, ob mit oder ohne Hochtief. Das Angebot der Baufirma liegt vor. Statt bislang 377 Millionen Euro fordert sie 642 Millionen für das gesamte Gebäude. Allerdings hat Hochtief bereits rund 80 Millionen abgeschrieben. Der Plan, wie die Stadt das Konzerthaus in Eigenregie zu Ende baut, steht nun ebenfalls. Ernüchternde Erkenntnis: Auch das würde um die 200 Millionen Euro mehr kosten. Verhandlungen laufen jetzt nur noch zwischen Scholz und Hochtief-Manager Fernandez, wobei der Bürgermeister sich demonstrativ offenhält, wofür er sich entscheiden wird. Noch am Dienstag, 11. Dezember, sagte er in der Generaldebatte zum Haushalt, beide Wege seien möglich. Dass er nicht über Hochtief schimpft und betont, alle Seiten hätten Fehler gemacht, werten Beobachter aber als Indiz, dass man sich einigen wird. Aber wann?

Noch am Donnerstagabend rechnen Insider damit, am Wochenende etwas zu erfahren. Doch dann geht es nicht schneller. Am Freitag ist Scholz schon seit 6 Uhr morgens mit nichts anderem beschäftigt als mit der Elbphilharmonie. Um 8.42 Uhr geht auf seinem Handy ein neues Angebot von Hochtief ein: Der Konzern bietet an, für 575 Millionen Euro das Konzerthaus bis 2016 fertig zu bauen und dafür die Planung und alle Risiken zu übernehmen. Am Vormittag sickert durch, dass Scholz um 15 Uhr die fünf Fraktionschef in seinem Amtszimmer treffen will. Er unterrichtet sie über die beiden Varianten, wie es mit der Elbphilharmonie weitergehen kann, und übergibt ihnen jeweils das fünfseitige Angebot von Hochtief.

Während die SPD-Fraktion um 16.28 Uhr im Saal 151 des Rathauses zu einer außerordentlichen Fraktionssitzung zusammenkommt, gehen CDU-Fraktionschef Dietrich Wersich und Jens Kerstan, Chef der Grünen-Fraktion, in ihre Büros. Kerstan will vor einem Urteil zunächst das Hochtief-Angebot studieren, sagt dann aber doch: "Das ist der Nachtrag 5. Und der kostet 200 Millionen Euro." Eine Anspielung auf den Nachtrag 4, mit dem sich die Kosten für das Projekt Ende 2008 verdreifacht hatten. Auch Wersich ist unzufrieden. Er fühlt sich zu wenig eingebunden: "Das Gespräch war ein atmosphärisches Feigenblatt statt echter Einbeziehung."

Unterdessen spricht Scholz vor der SPD-Fraktion. Kultursenatorin Kisseler und Wissenschaftssenatorin Dorothee Stapelfeldt sind ebenfalls anwesend. Auch die Abgeordneten bekommen das fünfseitige Papier. Und sie haben viele Fragen. Eigentlich soll die Sitzung nur eine halbe Stunde dauern. Doch fast die Hälfte der SPD-Abgeordneten meldet sich zu Wort. "Jeder muss noch seinen Senf dazugeben", sagt einer von ihnen später genervt. Es ist schließlich Freitag, der dritte Advent steht vor der Tür. Nach einer halben Stunde verlässt Stapelfeldt den Saal. Als Unterhändlerin in Sachen Elbphilharmonie? Nein, sagt sie. Sie müsse im Kaisersaal des Rathauses ein Grußwort halten. Kurz darauf kommt auch Finanzsenator Peter Tschentscher (SPD) in die Sitzung.

Um 18.18 Uhr bedankt sich Fraktionschef Andreas Dressel bei den Abgeordneten. Scholz eilt hinaus. Eigentlich hätte er schon längst Dresdens Oberbürgermeisterin Helma Orosz (CDU) anlässlich der 25-jährigen Städtepartnerschaft treffen sollen.

Während die SPD-Abgeordneten aus dem Rathaus strömen, fasst Dressel die Stimmung der Sitzung zusammen: "Die Abgeordneten waren schockiert, als sie von der hohen Summe erfahren haben." Da die CDU die ausufernden Kosten durch die fehlende Planung verursacht habe, erwarte er nun, dass sie Verantwortung übernehme. "Sie soll die Entscheidung des Senats konstruktiv begleiten und nicht torpedieren."

Die Entscheidung fällt am heutigen Sonnabend. Um 9 Uhr trifft der Senat zusammen, drei Stunden später wird Olaf Scholz verkünden, ob die Stadt allein weiterbaut oder zusammen mit dem Baukonzern Hochtief. "Es ist aber egal, was man macht", sagt ein SPD-Abgeordneter, "man hat immer die Arschkarte."