Eine Glosse von Nico Binde

Es liegt im Wesen der Schneewehe, mit dem Wind um die Häuser zu ziehen, irgendwann dekorativ dazuliegen und in aller Ruhe Menschen zu verschlucken, die erst im Frühjahr wieder auftauchen. Meistens irgendwo in Süddeutschland. Nicht grundlos gilt die Schneewehe als unberechenbar, als vagabundierende Kleinkriminelle unter den Naturphänomenen. Ihr Bruder heißt Wintereinbruch, Wintereinbruch in besonders schwerem Fall.

Noch ist der Winter 2012 nicht so kriminell wie 1978/79, als Horden von Schneewehen in Norddeutschland einfielen, Züge stoppten und Angst und Schrecken verbreiteten. Aber der Winter 2012 ist in beneidenswerter Frühform und auf dem besten Weg, auf die schiefe Bahn zu geraten. Am Freitag jedenfalls schnappte sich eine bei Geesthacht lauernde Schneewehe ihr erstes Opfer. Sie verschluckte ausgerechnet einen der Angeklagten im Prozess um den gestohlenen Störtebeker-Schädel. Auf dem Weg zur Verhandlung rutschte der mutmaßliche Dieb mit seinem Auto in den Klammergriff des Flockenhaufens. Kleinkriminelle schluckt Kleinkriminellen.

Schwer zu sagen, ob das solidarisch oder bösartig war. Der Angeklagte steckte dort eine Stunde fest. Erst nach seiner Befreiung konnte er in Hamburg verurteilt werden. Mild, sehr mild sogar. Aber verurteilt.

Andererseits: Immer noch besser, als mit der Schneewehe den ganzen Winter um die Häuser zu ziehen und erst im Frühjahr wieder aufzutauchen. Irgendwo in Süddeutschland.