Birgit Schnieber-Jastram kritisiert in der Schuldenkrise Alleingänge der Regierungen und fordert mehr Rechte für das EU-Parlament.

Straßburg. Ihr Alltag spielt sich in Brüssel und Straßburg ab - den beiden Städten, zwischen denen das Europaparlament hin- und herpendelt. Die Hamburger EU-Abgeordnete Birgit Schnieber-Jastram (CDU) über die Krise der EU und die Rolle des Parlaments.

Hamburger Abendblatt: Die EU und ihre Institutionen durchlaufen ihre schwerste Krise. Gleichwohl hören wir in Hamburg relativ wenig von unseren EU-Abgeordneten. Warum ist das so?

Birgit Schnieber-Jastram: Wir Abgeordnete beschäftigen uns ständig mit der Krise. Aber sie tangiert vor allem den EU-Rat und die Kommission und weniger die Hamburger Politik. Aber es gab schon eine Reihe von Veranstaltungen zu dem Thema, zum Beispiel der Europa-Union, die auf großes Interesse der Hamburger Bürger gestoßen sind.

Welchen Einfluss kann das Parlament auf die Bekämpfung der Krise nehmen?

Schnieber-Jastram: Zurzeit fast gar keinen. Es ist aber ein großes Thema für uns, weil die meisten Abgeordneten, von Ausnahmen am rechten und linken Rand abgesehen, mit Leib und Seele für Europa streiten. Daher sehen wir die Krise als Chance, dem EU-Parlament mehr Zuständigkeiten zu geben. Es muss mit Blick auf den Euro eine stärkere Kontrollfunktion haben, und es braucht mehr Kompetenzen im Bereich Wirtschaft und Finanzen.

Wie stellen Sie sich das konkret vor?

Schnieber-Jastram: Es geht zum Beispiel um Zuständigkeiten für Haushalte anderer Länder, etwa solcher, die unter den Rettungsschirm der Gemeinschaft wollen. Das wird ein schwerer Prozess. Kein Land gibt gern Kompetenzen ab.

Im EU-Parlament ist es ja jetzt schon sehr schwierig, Kompromisse zu finden, weil es die klassische Aufteilung in Regierungsmehrheit und Opposition nicht gibt. Wie soll so eine zaghafte Einrichtung knallharte Kontrolle über Länderhaushalte ausüben?

Schnieber-Jastram: Ich glaube, dass die Mitgliedstaaten einsehen werden, dass sie alleine nichts mehr bewirken können. Selbst ein großes Land wie Deutschland ist allein in einer globalisierten Welt nicht gut aufgehoben. Wir müssen viel stärker gemeinsam als Europa auftreten. Alle anderen großen Kontinente warten darauf, dass Europa mit einer starken Stimme spricht.

Aber das beantwortet nicht die Frage, warum ausgerechnet dieses kompliziert organisierte und daher relativ schwache Parlament der starke Partner auf diesem Weg sein soll.

Schnieber-Jastram: Es ist das Prinzip von Demokratie, dass Parlamente die Regierungen und ihre Haushalte kontrollieren, also zum einen die EU-Kommission in Brüssel und zum anderen die Mitgliedstaaten, die zurzeit aushandeln, wie wir der Krise begegnen und wie wir uns die Zukunft Europas vorstellen. Dass das alles ohne parlamentarische Kontrolle stattfindet, das kann nicht angehen. Selbst die teilweise Kontrolle durch den Bundestag musste ja erst hart erstritten werden. Europa ist zu allererst ein demokratisches Gebilde, also muss es sich eine demokratische Kontrolle geben. Und dafür wird das EU-Parlament vom Volk gewählt. Im Gegensatz zu den nationalen Parlamenten hat das Europäische Parlament bei den Verhandlungen über den Stabilitätsmechanismus übrigens schon bewiesen, dass es eine größere Rolle übernehmen kann, auch in Fragen der Finanzkrise.

Und die Bundeskanzlerin, die ja Ihrer Partei angehört, freut sich darauf, wenn sie Kompetenzen an Brüssel abgeben darf?

Schnieber-Jastram: Die Bundesregierung sieht das positiv, weil sie ein starker Europa-Befürworter ist. Gleiches gilt für die meisten Fraktionen im Bundestag. Es gibt natürlich einzelne Abgeordnete, die solche Eingriffsrechte ablehnen, weil sie aus ihrem Wahlkreis hören, das koste doch alles zu viel Geld. Dazu kann ich nur sagen: Europa kostet uns kein Geld, sondern Europa bringt uns außer Frieden und Freiheit auch sehr viel Wohlstand! Insbesondere Hamburger profitieren davon, dass wir Handel treiben mit den Ländern innerhalb und außerhalb Europas. Das hat uns viel Wachstum und Beschäftigung gebracht.

Das ist doch ein Plädoyer dafür, alles so zu lassen, wie es ist. Was würden Sie denn konkret anders machen, wenn das Parlament mehr Einfluss hätte?

Schnieber-Jastram: Es geht gar nicht so sehr darum, was das Parlament konkret anders entscheiden würde, sondern dass es entscheidet. Das gilt vor allem in der jetzigen Situation, in der wir Entscheidungen treffen müssen, die die Zukunft der EU bestimmen. Und die einzige EU-Institution, die direkt demokratisch legitimiert ist, ist nun einmal das Parlament.

Die Bundeskanzlerin wird wegen ihres harten Kurses in der Krise in einigen EU-Ländern wie Griechenland und Portugal heftig angefeindet. Erleben Sie das hier im Parlament auch, wenn Sie Abgeordneten aus diesen Ländern begegnen?

Schnieber-Jastram: Es gibt hier keine Aggressionen. Wir Abgeordneten gehen fair miteinander um und bemühen uns, dieses Europa gemeinsam zu gestalten. Mancher ausländische Kollege spricht eher mit Hochachtung über die Situation in Deutschland, die florierende Wirtschaft und die niedrigen Arbeitslosenquoten.

Was haben Sie als EU-Abgeordnete für Hamburg erreicht?

Schnieber-Jastram: Am augenfälligsten ist, dass viele Unternehmen mit Anliegen zu uns kommen und uns bitten, Probleme zu lösen. Wir verschaffen ihnen dann Zugang zur EU-Kommission, stellen Kontakte her oder veranstalten Gesprächsforen. Darüber hinaus kommen sehr viele Besucher zu uns, um sich über die EU zu informieren. Ganz viele Menschen wissen über Europa nicht mehr, als dass es da eine Kommission gibt, die vorschreibt, wie gerade Gurken und wie krumm Bananen sein müssen. Von wem die Ideen kommen, weiß kaum jemand.

Sie können doch froh sein, dass Sie nicht mit Gurken und Bananen in Verbindung gebracht werden.

Schnieber-Jastram: Aber es geht auch unter, wenn wir gute Ideen haben. Wenn sich das Parlament zum Beispiel dafür einsetzt, dass ein europäisches Hilfscorps aufgestellt wird, sind es oft nationale Hilfsorganisationen, die das blockieren. So ist es oft: Für die unpopulären Dinge wird Brüssel verantwortlich gemacht, und die populären wollen die Länder für sich behalten.

Sie waren Abgeordnete in der Hamburgischen Bürgerschaft und im Deutschen Bundestag, waren Senatorin und Zweite Bürgermeisterin in Hamburg und vertreten die Stadt nun im EU-Parlament. Wenn Sie 2014 Ihre politische Karriere beenden, wie wird der Rückblick ausfallen?

Schnieber-Jastram: Meine Stationen in Deutschland waren allesamt tolle Erlebnisse. Aber wenn man das aus der europäischen Perspektive anschaut, kommt einem manches klein vor. Das soll nicht arrogant klingen, aber vieles, was in Berlin oder Hamburg diskutiert wird und für den einzelnen Bürger auch wichtig ist, bekommt hier eine andere Dimension.

Und die Moral aus der Geschichte?

Schnieber-Jastram: Wir müssen weg von diesem Kirchturmdenken: Linke Tasche, rechte Tasche, was geben wir, und was bekommen wir dafür? Europa insgesamt ist eine Erfolgsgeschichte, von der Deutschland und Hamburg enorm profitieren. Wenn wir wollen, dass das so bleibt, müssen wir dieses Europa als Ganzes stärken.